2.1 Definition der "thrako-kimmerischen" Bronzen

Gegen Ende der urnenfelderzeitlichen Entwicklung erscheinen einige Metallgegenstände im Bereich der Urnenfelderkulturen, für die keine einheimischen Vorbilder existierten, wobei der Ursprungsort der Vorlagen für diese Gegenstände im Nordschwarzmeergebiet und in Kaukasien vermutet wird (vgl. Dietz 1998, 2). Die Bezeichnung dieser Funde als "thrako-kimmerische" Bronzen beruht auf einer historischen Interpretation, die sich vor allem auf die Überlieferung des Herodot stützt. Diese Gegenstände sind in Europa vom Kaukasus aus in Georgien, der Ukraine, Polen, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Österreich, der Slowakei, Tschechien, Deutschland, der Schweiz und Italien verbreitet. Dabei ist diese Fundgruppe zwar in einem großen, geographisch zusammenhängenden Raum zu finden, in dem zu diesem Zeitpunkt allerdings unterschiedliche, voneinander unabhängige Kulturen verbreitet sind (vgl. dazu Chochorowski 1993, Karte 11). Das Verkommen der Fundgruppe läßt sich im Norden bis nach Dänemark (Jensen 1969) und im Nordosten bis Ostpreußen (Bezzenberger 1904, Fig. 34-37) verfolgen. Zentrales Verbreitungsgebiet ist jedoch der Bereich der Klassischen Urnenfelderkultur, wobei als westlichster Fundort die Seeufersiedlung Zürich-Alpenquai in der Schweiz genannt werden kann (vgl. dazu Abb. 4).

Die ursprünglich im Bereich der Urnenfelderkulturen fremden Metallgegenstände sind vor allem zu Pferdegeschirr gehörende Bronzen. Erstmals treten mit diesen Gegenständen gegossene dreilochige Seitenstangen mit Knöpfen auf, die spitzkegelig oder - jedoch nur in seltenen Fällen - auch tierkopfförmig ausgebildet sein können (vgl. Abb. 2,1-3). Ebenfalls zum ersten Mal treten nun auch Waffen und Geräte aus Eisen auf, wobei Eisen zu Plattierungen in vereinzelten Fällen bereits seit der Stufe Hallstatt A bekannt war 6. Ebenso sind seit diesem "Horizont" zweiteilige Gebißstangen bekannt (vgl. Abb. 2,6), die auf eine entwickelte Reittechnik schließen lassen, weil sie gegenüber den zuvor verwendeten einteiligen Trensen eine bessere Beherrschung des Pferdes ermöglichen. Diese verbesserte Beherrschung des Pferdes vor allem in Extremsituationen ist aber die Voraussetzung für eine effektive militärische Nutzung des Pferdes als Reittier (Dietz 1998, 7). Zudem läßt die im Vergleich zu früheren Typen größere Gesamtbreite der Gebißstangen auf eine größere, in diesen Raum sicherlich neu eingeführte Pferderasse schließen.

Abb. 4: Verbreitung von Gegenständen kimmerischer Form

Abb. 4: Verbreitung von Gegenständen "kimmerischer" Form in Europa
(nach Chochorowski 1993, Karte 1 u. Terenozkin 1976, 15 Abb. 1).

Unterschiedliche, zum Teil verzierte Knöpfe und Phaleren zur Pferdeschirrung gehören ebenfalls zu dieser Gruppe von Metallgegenständen. Dazu treten neue Typen eiserner Lappen- und Ärmchenbeile auf. Unter den oft mit den Gegenständen dieser Gruppe vergesellschafteten Geräten sind außerdem gelochte, also aufhängbare, Schleifsteine aus Sandstein aufzuzählen. Eher selten kommen bronzene Pferdekopfzepter und Keulenköpfe vor (vgl. Abb. 5,1.2), die sicherlich als Machtabzeichen zu deuten sind.

Als neue Waffen sind Dolche und Schwerter mit durchbrochen gearbeiteten bronzenen Griffen und zuweilen eisernen Klingen (vgl. Abb. 3,1), eiserne Messer, eiserne Beile und eiserne Speerspitzen, die am Blattansatz gelocht sind (vgl. Abb. 6,1.2), aufzuzählen.

Zusammen mit den aufgezählten "thrako-kimmerischen" Bronzen werden als Trachtgegenstände oft typische Doppelspiralfibeln, Bogenfibeln oder goldene Besatzstücke gefunden. Es sind dabei verschiedene Kombinationen innerhalb der Inventare möglich. Es kommen sowohl Horte und Gräber mit rein "thrako-kimmerischer" Zusammensetzung der Funde vor, als auch mit Inventaren, bei denen diese mit einheimischen Formen gemischt sind. Einzelne "thrako-kimmerische" Formen können aber ebenfalls mit Gegenständen einheimischer Herkunft vergesellschaftet sein (vgl. Abb. 3). Dabei lassen sich auch bei diesen Mischinventaren typisch urnenfelderzeitliche Kompositionen beispielsweise von Waffen und Tracht beobachten.

Die als "thrako-kimmerisch" bezeichneten Gegenstände repräsentieren, indem sie sich prinzipiell auf die Sachgruppen Machtabzeichen, Waffen, Pferdegeschirr und "Prunktracht" beschränken, offensichtlich die Kennzeichen einer Oberschicht. Auffälligerweise lassen sich weder komplette Gräberfelder einer als "kimmerisch" zu bezeichnenden Bevölkerung zuweisen, noch können innerhalb der Gräberfelder, die "thrako-kimmerisches" Material ergeben haben, entsprechende Gräbergruppen nachgewiesen werden. Beispielsweise konnten im Gräberfeld von Stillfried an der March in Niederösterreich nur in zwei der insgesamt 51 ausgegrabenen Gräber (also in rund 4% der Fälle) Gegenstände entdeckt werden, die als "thrako-kimmerisch" anzusprechen sind (vgl. Kaus 1985, 49). Unklar ist deshalb, ob das Vorhandensein von "thrako-kimmerischen" Bronzen als Beleg für die Anwesenheit größerer Gruppen einer fremden Bevölkerung im mittel- und südosteuropäischen Raum angeführt werden kann, oder ob nicht vielmehr angenommen werden muß, daß eine kleine Gruppe, die sich durch ihre "thrako-kimmerische" Ausrüstung auszeichnete, als Oberschicht eine einheimische Bevölkerung überlagerte. Diese Frage wäre allerdings nur durch eine vergleichende Untersuchung zu den urnenfelderzeitlichen und hallstattzeitlichen Sozialstrukturen zu beantworten.


6 Als frühester Beleg für Eisenverwendung in Europa gilt ein in einem Opferschacht bei Gánovce am Fuße der Hohen Tatra entdeckter eiserner Dolchgriff. Dieser bereits aus verhüttetem Eisen gefertigte Gegenstand kann durch mit ihm vergesellschaftete Keramik der jüngeren Otomani-Kultur in die beginnende Mittelbronzezeit datiert werden, wobei durch Radiokarbondatierung das absolute Alter des Dolches auf 1465 ± 35 Jahre v. Chr. bestimmt wurde (Vlcek u. Hájek 1963). Der wohl anatolische Beziehungen in das Karpatenbecken belegende Import ist aber einmalig in diesem Kulturmilieu.


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel