3.1.2.1 Zu den Bogenschützen der François-Vase

Auf dem Hals des allgemein als François-Vase 55 bezeichneten Volutenkraters, der in schwarzfiguriger Technik bemalt wurde, befindet sich eine Darstellung der sogenannten Kalydonischen Eberjagd 56. Zwar gehörten bildliche Wiedergaben dieser Jagd in der Mitte des sechsten Jahrhunderts v.Chr. zu einem der beliebtesten Themen der Vasenmalerei, aber die Darstellung auf der aus Chiusi stammenden François-Vase hebt sich aus der Menge der übrigen heraus. Unter den teilnehmenden Jägern, von denen wir durch Beischriften die Namen mitgeteilt bekommen, sind nämlich auch drei kniende Bogenschützen 57 zu finden, von denen obendrein einer durch die Inschrift KIMERIOS bezeichnet ist (Arias u. Hirmer 1960, 42; Boardman 1977, 228 Abb. 46,1.2). In seiner Untersuchung über "Die Kalydonische Jagd in der Antike" sprach sich G. Daltrop zwar nicht ausdrücklich für eine bestimmte ethnische Einordnung des "Kimerios" aus, merkte jedoch an, daß außer der Tracht des Schützen auch sein Name an "das iranische, aus dem Steppengebiet Südrußlands stammende Volk der Kimmerier" erinnere (Daltrop 1966, 16). Somit scheinen sowohl die Bekleidung als auch die Beischrift dieses Bogenschützen die Identifizierung als Kimmerier zu ermöglichen (vgl. Abb. 12).

Abb. 12: Ausschnitt der Darstellung auf der sogenannten François-Vase

Abb. 12: Ausschnitt der Darstellung auf der sogenannten François-Vase (nach Boardman 1981, 302 Abb. 296).

Die drei Bogenschützen sind mit kurzem Chiton bekleidet und tragen steife, spitze Mützen; an ihren Seiten hängende Köcher sind mit über ihre Schultern laufenden Riemen befestigt. Insbesondere die steife Spitzmütze führte dazu, daß außer der Kleidung des Kimerios auch die der als EUTHYMACHOS beziehungsweise als TOXAMIS bezeichneten weiteren Schützen durchweg als "skythisch" bezeichnet wurde, wobei der Chiton des Toxamis wegen seiner bunten Ausgestaltung sogar als Panzer interpretiert wurde (so Arias u. Hirmer 1960, 38). Ein Vergleich der Kleidung der Bogenschützen mit der ihrer eindeutig griechischen Jagdgenossen zeigt jedoch, daß diese eigentlich typisch griechisch ist, wobei allein die reiche Verzierung der Chitons - neben den spitzen Mützen - als fremdes Element erscheint, während die Hemden der griechischen Jäger leergelassen sind (vgl. Vos 1963, 1.2). Es stellt sich also die Frage, ob eine "barbarische" Herkunft dieser Bogenschützen - auch wenn dies durch die zweien der Bogenschützen beigegebenen Namen Toxamis und Kimerios suggeriert wird - eindeutig bewiesen ist, zumal "Barbaren" als Teilnehmer an der Kalydonischen Eberjagd in der schriftlichen Überlieferung nicht bezeugt sind (vgl. Daltrop 1966) 58.

Während der Name Euthymachos häufig als auf eine griechische Abstammung dieses Bogenschützen hindeutend gewertet wurde (beispielsweise Minns 1913, 53), findet sich für die Namen Kimerios und Toxamis häufig die Deutung als "typisch skythisch" (so bereits Kretschmer 1894, 75 Anm. 8; 85). Zumindest für den Namen Toxamis findet diese Deutung Bestätigung in dem Umstand, daß ein ähnlicher Name von Lukianos für den Titelhelden von "Toxaris oder die Freunde" verwendet wurde. Derartige Namen finden sich auch auf zwei frührotfigurigen Gefäßen, die beide dem Töpfer und Maler Euphronios zugeschrieben werden (vgl. Bothmer 1957, 131.132), der zur ersten Generation der rotfigurigen Maler gezählt wird und dessen Vasen in das letzte Jahrzehnt des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts datiert werden (Bothmer 1957, 138). In beiden Fällen handelt es sich um Amazonen, von denen eine durch Beischrift als Toxis (Bothmer 1957, Nr. IX 5), die andere als Toxaris benannt ist (Bothmer 1957, Nr. IX 7). Sowohl die auf einem Volutenkrater dargestellte Toxis als auch die auf den erhaltenen Scherben einer Schale abgebildete Toxaris sind in gemusterte, overallähnliche Anzüge mit langen Ärmeln gekleidet, tragen hohe Mützen mit umgerollter Spitze und sind mit Bögen bewaffnet (Bothmer 1957, 136.137). Indem hier also Amazonen mit den Namen Toxis bzw. Toxaris bezeichnet sind, darf jedoch auch Toxamis nicht als unbedingt "typisch skythisch" angesehen werden, auch wenn seine "ethnische" Einordnung als "nordöstlich" unter Vermeidung einer genaueren ethnischen Zuweisung (so Arias u. Hirmer 1960, 38) bestätigt scheint.

Im Unterschied zum Namen Toxamis suggeriert Kimerios unmittelbar eine ethnische Zuordnung des Namensträgers. Eine derartige Folgerung ist aber schon angesichts der Tatsache, daß ein analoger Schluß bezüglich des Namens Skythes nicht unbedingt zulässig ist, höchst fragwürdig. Beispielsweise nennt Plinius, sich hierbei auf Aristoteles berufend, einen Lyder namens Skythes als den Erfinder der Kunst, Erz zu schmelzen (Plin. nat. VII 197), und einen Skythes genannten Jupitersohn als Erfinder von Pfeil und Bogen (Plin. nat. VII 201). Auch Herodot kennt mit dem Tyrannen von Zankle einen griechischen Träger des Namens Skythes (Hdt. VI 23,1; VII 163,2). Auf den von M.F. Vos aufgelisteten Vasen mit Skythendarstellungen erscheint der Name "Skythes" nur zweimal, wobei in einem der Fälle wohl ein Grieche mit diesem Namen bezeichnet scheint (Vos 1963, 57); im anderen Fall handelt es sich indes um einen Bogenschützen, dessen Darstellung dem des Kimerios der François-Vase sehr ähnlich ist (Vos 1963, Taf. 6a). Die einzige weitere Belegstelle für den Namen Kimerios wiederum - neben der Inschrift auf der François-Vase -, die sich in der Beschreibung Griechenlands des Pausanias findet, deutet allerdings auch auf einen Griechen als Träger dieses Namens hin, denn Pausanias kennt den Namen Kimerios für einen Epheser, der 405 v.Chr. auf spartanischer Seite an der Schlacht bei Aigospotamoi 59 teilgenommen habe (Paus. X 9,9).

Wenn aber der Name Kimerios nicht als maßgebliches Argument für die Nationalität seines Trägers benutzt werden kann, so kann auch bezweifelt werden, daß es sich bei dem so benannten Bogenschützen der François-Vase um einen Kimmerier handelt. Auch eine Deutung als Skythe ist angesichts der Tatsache, daß der als Bogenschütze bekannte Trojanerprinz Paris auf einer Hydria des sogenannten Priamos-Malers in "skythischer" Kleidung dargestellt ist (vgl. Vos 1963, 10.11), nicht zwingend.

Neben dem Mangel an heimischer Kleidung, der durchaus dazu führen konnte, daß Griechen sich in fremde Tracht kleiden mußten 60, dürfte auch die Betonung bestimmter Eigenschaften oder Tätigkeiten Grund für das Tragen von bzw. die Darstellung mit fremdartiger Kleidung gewesen sein. Ebenso wie die Darstellung des Trojaners Paris in "skythischer" Kleidung dessen Rolle als Bogenschütze unterstreichen sollte, könnten neben der exotischen Kleidung auf dem Vasenbild der François-Vase auch die "barbarischen" Namen diesem Zweck gedient haben. Allerdings gibt es, ebenso wie sich keine zwingenden Beweise für eine barbarische Herkunft der Bogenschützen anführen lassen, auch keine Beweise dafür, daß es sich um in barbarische Kleidung gehüllte Griechen handelt.


55 Die nach dem Finder Alessandro François benannte Vase wurde vom Töpfer Ergotimos und vom Maler Kleitias signiert. Daher läßt sie sich in die Zeit zwischen 570 und 560 v.Chr. datieren (Boardman 1977, 37.38.257).
56 Der Sage nach versammelten sich zur Jagd des Kalydonischen Ebers in Ätolien unter der Führung des Meleagers teilweise die Helden wieder, die bereits gemeinsam nach Kolchis gefahren waren. Zu diesen Helden gesellte sich außerdem die jungfräuliche Jägerin Atalante, die den Eber mit einem Pfeil verletzte, bevor Meleager ihn tötete (vgl. Darltrop 1966, 8-14; Moritz 1989, 204).
57 M.F. Vos merkte an, daß es, abgesehen von der Darstellung auf der François-Vase, keine weitere Vasenmalerei der Eberjagd gibt, auf der mit Ausnahme der Atalante überhaupt Bogenschützen abgebildet sind. Nur auf einer im Museum von Florenz aufbewahrten Hydria sei ein mit "barbarischer Mütze" bekleideter Mann als Teilnehmer der Kalydonischen Jagd dargestellt, der allerdings mit einem Speer bewaffnet ist (Vos 1963, 2 Anm. 1).
58 Anhand der Darstellung der Eberjagd auf einer ebenfalls schwarzfigurigen und von Archikles und Glaukytes signierten Schale (Pinsent 1969, 76; Boardman 1977, 96 Abb. 116), auf der auch alle Jäger mit ihren Namen bezeichnet sind, läßt sich durch das Fehlen von "barbarischen" Bogenschützen belegen, daß diese auf bildlichen Darstellungen zumindest nicht verbindlicher Bestandteil der Jagd waren.
59 An diesem an der Ostküste der thrakischen Chersonesos gelegenen Ort siegte der Spartaner Lysander über die attische Flotte (Paus. III 17,4; IV 17,3; VI 3,14.15; Diod. XIII 105).
60 So beklagten sich die griechischen Soldaten des Makedonenkönigs Alexander, daß sie persische Kleider tragen mußten (vgl. Curt. IX 3,10).


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