3.1.2.2 Bemerkungen zu "pontischen" Vasen

Während auf der François-Vase der Kontext der dargestellten Kalydonischen Eberjagd wesentlich zu den Zweifeln beiträgt, die bezüglich einer barbarischen Herkunft der Bogenschützen aufkommen, ist bei den sogenannten "pontischen" Vasen sogar die dargestellte Handlung für die Namengebung der Gefäßgattung verantwortlich, die auf die angebliche pontische Heimat der dargestellten Reiterkrieger verweist.

Diese "pontischen" Vasen verdanken ihren Namen nämlich dem Umstand, daß F. Dümmler, der diese Gruppe von schwarzfigurigen Gefäßen definierte, deren Ursprungsort in den griechischen Kolonien an den pontischen Küsten vermutete, weshalb diese Gattung von Vasen im englischsprachigen Raum zuweilen auch "Dümmler's Group" genannt wird (vgl. Cook 1960, 365). Auf den Gedanken, als den Entstehungsort dieser Gefäße eine "pontische Fabrik" anzunehmen, kam Dümmler aufgrund der Tatsache, daß auf einer der von ihm zu einer Gruppe zusammengefaßten Gefäßen eine Szene dargestellt ist, die als Kampf zwischen Griechen und Barbaren gedeutet werden kann (Dümmler 1887, 186-189). Auf einem der Schulterfelder dieser aus Vulci stammenden Amphora sind drei von Dümmler als Skythen bezeichnete Reiter mit spitzen Mützen dargestellt, welche rückwärts gewandt Pfeile abschießen (Abb. 13), während auf dem gegenüberliegenden Schulterfeld drei Helme tragende und eventuell mit Beinschienen ausgerüstete Reiter zu sehen sind, welche Speere schwingen (Abb. 14).

Abb. 13: "Pontische Reiter" auf einem Gefäß aus Vulci

Abb. 13: "Pontische Reiter" auf einem Gefäß aus Vulci (nach Dümmler 1887, Taf. 9).

Die auf dieser Vase Speere schwingenden Reiter "Hopliten" zu nennen (so Dümmler 1887, 172), ist nicht gerechtfertigt, da man unter Hopliten schwerbewaffnete Soldaten versteht, die diese Bezeichnung vor allem der Ausrüstung mit einem großen runden Schild verdanken (Snodgrass 1984, 94). Die Bewaffnung der Reiter besteht aber außer den deutlich sichtbaren Speeren und wohl angedeuteten Beinschienen nur aus Helmen 61, bei denen es sich um sogenannte " chalkidische" Helme zu handeln scheint (Snodgrass 1984, 142 Abb. 81). Die chalkidischen Helme stellen eine Variante des korinthischen Helmes dar, für die ovale oder sichelförmige Wangenklappen, welche die Ohren des Kriegers frei ließen, und das Fehlen des für korinthische Helme typischen Stegs zwischen den Augenöffnungen, der das Nasenbein schützen sollte, kennzeichnend ist (Stary 1981, 65). Der Name dieser Helmform leitet sich aus dem Umstand ab, daß sie zumeist auf Gefäßen erscheint, die von klassischen Archäologen als "chalkidische" Keramik bezeichnet werden; "chalkidische" schwarzfigurige Keramik wurde allerdings besonders in Italien und Sizilien, überwiegend in Etrurien und in den griechischen Kolonien gefunden, die von der euböischen Stadt Chalkis im westlichen Mittelmeerraum gegründet wurden, woher die "chalkidische" Keramik ihren Namen hat (Snodgrass 1984, 136).

Diese Darstellung der als Griechen bezeichneten Reiter gibt folglich keine eindeutigen Hinweise auf eine Herkunft dieses Gefäßes, die außerhalb Italiens zu suchen wäre. Vielmehr ist der Umstand, daß sich die abgebildeten chalkidischen Helme im wesentlichen auf Etrurien beschränken, ein Hinweis darauf, daß es sich bei den Reitern auch um Etrusker handeln könnte. Auffälligerweise stammen nämlich auch alle anderen "pontischen" Vasen, zumindest soweit deren Herkunft beglaubigt ist, aus Etrurien (Ducati 1932, 7; Cook 1960, 156), was R.M. Cook zu der Ansicht brachte, daß eine durch Importe attischer schwarzfiguriger Keramik beeinflußte einheimische Produktion dieser "pontischen" Vasen existiert haben könnte (Cook 1960, 155).

Abb. 14: "Berittene Hopliten" auf einem Gefäß aus Vulci

Abb. 14: "Berittene Hopliten" auf einem Gefäß aus Vulci (nach Dümmler 1887, Taf. 9).

Während die mit Helmen ausgestatteten Reiter für etruskische Verhältnisse nicht ungewöhnlich sind, erregen die spitzmützigen und bogenschießenden Reiter erhöhte Aufmerksamkeit. Bei den dargestellten Bögen handelt es sich zweifellos - die Sigma-förmige Krümmung ist deutlich zu erkennen - um sogenannte "skythische" Bögen. Bildliche Darstellungen von Pfeil und Bogen führenden Kriegern treten in der etruskischen Kunst eher selten auf, wobei allerdings vorwiegend Kompositbögen und nur vereinzelt die an ihrer halbrunden Form erkennbaren Normalbögen abgebildet sind (Stary 1981, 91.92). Ein Kompositbogen findet sich selbst in den Händen eines mit korinthischem Helm und Brustpanzer ausgerüsteten Kriegers, der auf einer in das späte siebte Jahrhundert v.Chr. datierten Buccero-Kanne aus dem im Einflußbereich von Vulci gelegenen Ischia di Castro zu sehen ist (Stary 1981, Taf. 7,1). Somit kann aber der sogenannte "skythische" Bogen allein kein ausreichender Beweis für eine ethnische Bestimmung der spitzmützigen Reiter als Skythen sein (so Dümmler 1887, 187). Die Bogenschützen tragen zudem auch keinen der charakteristischen Köcher, und die als Chitons zu bezeichnende Kleidung der Reiter kann ebenso als etruskische wie auch griechische Tracht gedeutet werden (vgl. Ducati 1932, 19; Vos 1963, 41), wobei sie sich auch nicht von derjenigen der mit Lanzen bewaffneten Reiter unterscheidet. Somit bleiben für eine ethnische Deutung zwei den Reitern zugewiesene Merkmale, auf die ebenfalls bereits F. Dümmler hingewiesen hat: Die Reiter scheinen mit ihren Pferden derart vertraut zu sein, daß sie zu deren Kontrolle der Zügel nicht bedürfen. Dümmler deutete, sich dabei auch auf eine Textstelle Platons 62 berufend, dieses freihändige Reiten und den rückwärts gewandten Bogenschuß als "vollkommen skythische ... Kampfweise" (Dümmler 1887, 187). Ausschlaggebend für die Bestimmung als Skythen bezeichnete Dümmler aber die auffälligen spitzen Mützen, die von ihm "entschieden als skythisch" angesprochen wurden, weil ihm nur die Beschreibung Herodots der Mützen der "amyrgischen Saken" (Hdt. VII 64,2) eine angemessene Entsprechung zu den abgebildeten Kopfbedeckungen bot (Dümmler 1887, 187).

Ausschließlich der Umstand, daß einer der auch mit spitzen Mützen dargestellten Bogenschützen der François-Vase mit der Beischrift KIMERIOS versehen ist, veranlaßte R. Zahn dazu, die Darstellungen derartiger spitzmütziger Barbaren als Reminiszenz an die Kämpfe der Griechen mit den Kimmeriern zu deuten (Zahn 1896, 74). Indem Zahn aber ebenso behauptete, daß die eng anliegende und gemusterte Kleidung der Schützen der François-Vase "allein aus der skythischen befriedigend [zu] erklären" sei (Zahn 1896, 73), wird deutlich, daß für ihn kein prinzipieller Unterschied zwischen den Skythen und den Kimmeriern bestand. Der Auffassung, daß es sich bei den mit spitzen und hohen Mützen bekleideten Reitern auf der "pontischen" Vase um Kimmerier handeln müsse, haben sich aber bis zum heutigen Tage viele Forscher angeschlossen. So nannte es E.H. Minns " verführerisch", in den Trägern von Spitzmützen auf den "pontischen Vasen" Dümmlers "osteuropäische Nomaden" - damit meinte er Kimmerier - zu identifizieren, aber die italischen Fundorte aller dieser Vasen schienen es ihm doch zu erschweren, mit dem unbekannt gebliebenen Herstellungsort der Gefäße auch die Nationalität der dargestellten Barbaren zu bestimmen (vgl. Minns 1913, 53). H. Kothe indes identifizierte die auf der "pontischen" Vase abgebildeten Bogenschützen klar als Kimmerier: die Reiter trügen die "typische Spitzmütze der Saken und führen den landesüblichen Bogen" (Kothe 1963, 22.36). Die auch von Kothe an dieser Stelle als Beleg zitierte Herodotpassage (Hdt. VII 64,2) kann aber nicht als Beleg für eine "kimmerische Ausrüstung" herangezogen werden, denn sie bezieht sich auf die Beschreibung "amyrgischer Saken", die zumindest Herodot deutlich als Skythenstamm bezeichnet hat (vgl. Kothe 1963, 22 Anm. 7). Kothe hingegen ging davon aus, daß "die Saken ... bekanntlich aus dem turkestanischen Steppenbereich" kommen und "dort angeblich mit den Massageten identisch" sind (Kothe 1963, 22). Erst eine Kombination dieser Gleichheit von Massageten und Saken - die zudem selbst einschränkend als "angeblich" bezeichnet wurde - mit der Auffassung, daß sowohl die Kimmerier als auch die Massageten thrakischen Ursprungs seien (Vernadsky 1951, 340), führte zu der - letztlich aber unausgesprochenen - Gleichsetzung der Kimmerier und der Saken 63, die sich aber in den Wortschöpfungen "Saka-Kimmerier" bzw. "saka-kimmerisch" indirekt niederschlug (Kothe 1963, 33). Indem F. Kiechle der Deutung der Reiter auf der "pontischen" Vase Dümmlers als Kimmerier folgte, war auch er geradezu gezwungen, darauf aufmerksam zu machen, daß die meisten Skythendarstellungen auf attischen Vasen weitgehend diesen "kimmerischen Reitern" entsprächen (Kiechle 1964, 118.119). Zumindest in der Zeit zwischen circa 570 und 540 v.Chr. sind in der attischen Vasenmalerei die gewöhnlich als Skythen gedeuteten Bogenschützen mit Ausnahme der spitzen Mütze ebenso wie die griechischen Hopliten gekleidet (vgl. Vos 1963, 40.47). Weil sich gleiches auch über die Darstellung der Reiter auf der etruskischen Vase aus Vulci sagen läßt, stellte sich Kiechle die Frage, ob nicht "die Skythendarstellungen in der griechischen Vasenmalerei ... am kimmerischen Vorbild orientiert" seien (Kiechle 1964, 119).

Auf einer etruskisch schwarzfigurigen Hydria aus Vulci, die in das späte sechste oder frühe fünfte Jahrhundert v.Chr. datiert ist, sind zur Besatzung einer Diere gehörend auch mehrere Bogenschützen dargestellt (Stary 1981, Taf. 22,2). Die in einen Kampf mit einem nicht dargestellten Gegner 64 verwickelten Schützen tragen an der linken Hüfte den Köcher und auf dem Kopf spitze Mützen, die aber nicht die Höhe der Mützen der Reiter auf der ebenfalls aus Vulci stammenden Amphora erreichen. Die Bogenschützen müssen als Verbündete oder Söldner der eigentlichen - eventuell griechischen oder etruskischen - Schiffsbesatzung angesehen werden 65, womit sich jedoch auch die Frage stellt, ob die Darstellung der "pontischen" Vase unbedingt einen Kampf zwischen den unterschiedlich ausgerüsteten Reitern wiedergibt.

Zwar bemerkte auch F. Dümmler die Wiedergabe von Hunden und Hasen unter den Beinen der Pferde (Dümmler 1887, 173), hielt aber die Darstellung - ohne auf die Anwesenheit dieser Tiere einzugehen - für "eine Art realistische Schilderung aus dem Leben", nämlich einen "Kampf zwischen Griechen und Barbaren" (Dümmler 1887, 186). P. Ducati hingegen stellte fest, daß sich "in sonderbarer unlogischer Weise" Krieg und Verfolgung mit der Jagd verflechten würden, weil die unter den Pferden wild hinter den Hasen herjagenden Hunde "das übliche Motiv der Hasenjagd" wiedergeben würden (Ducati 1932, 13), wobei oft schon Hunde allein als klarer Hinweis auf die Jagd als Thema einer Darstellung gedeutet werden (so Raeck 1981, 47). Angesichts des Umstandes, daß den Skythen eine Vorliebe für die Jagd nachgesagt wurde (vgl. Hdt. I 73,3) und Herodot einmal sogar von einer Hasenjagd durch Skythen berichtet (Hdt. IV 134), darf nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß das Vasengemälde keine Kampf-, sondern eine Jagdszene wiedergibt.

Unter beiden Reitergruppen befinden sich hierbei jeweils zwei Hunde und ein Hase. Bei den Speere schwingenden Reitern befindet sich der Hase unter dem ersten der Pferde, und die an der Verfolgung beteiligten Hunde sind konsequent in Laufrichtung der Pferde unter den beiden folgenden Reittieren verteilt. Dahingegen ist bei den Bogenschützen der zu verfolgende Hase entgegengesetzt zur Laufrichtung der Pferde unter dem letzten der Reiter zu finden, während die Hunde unlogischerweise unter den beiden ersten Pferden deren Laufrichtung beibehalten. Somit kann aber die Darstellung der ihre Pfeile rückwärts abschießenden Reiter auf den Hasen bezogen werden, wobei die Wiedergabe dieser Technik sowohl der symmetrischen Gesamtkomposition als auch - ebenso wie die Abbildung der spitzen Mützen - der Unterstreichung ihrer Herkunft diente.


61 F. Dümmler versuchte dies so zu erklären, daß die Reiter zum Zweck größerer Beweglichkeit weder Panzer noch Schwert trügen und nur Kopf und Beine gegen die Pfeile der Barbaren geschirmt hätten (Dümmler 1887, 186).
62 Eine von Platon dem Sokrates in den Mund gelegte Bemerkung belegt, daß das rückwärts gewandte Abschießen von Pfeilen auf einen verfolgenden Feind den Skythen nachgesagt wurde: "Wie ja von den Skythen gesagt wird, daß sie nicht minder fliehend als verfolgend den Feind bekriegen" (Plat. Lach. 17).
63 H. Kothe leitete seine namenkundlichen Überlegungen zu Saken und Getai mit folgenden Worten ein: "Wenn nun die angeblich kimmerischen Getai tatsächlich mit den ... Saken gleichzusetzen sind ..." (Kothe 1963, 23).
64 Zwar ist der Gegner selbst nicht dargestellt, aber die Flugrichtung eines der abgebildeten Pfeile zeigt anschaulich, daß auch dieser von Bogenschützen unterstützt wird.
65 Herodot berichtet von Saken auf allen Schiffen der persischen Invasionsflotte unter Xerxes (Hdt. VII 96).


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