3.2.1 Die "kimmerischen Gewänder" des Flavius Arrianus

Flavius Arrianus beschreibt in seinem in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. verfaßten Werk "Taktik" die Ausrüstung, die römische Kavalleristen bei Reiterspielen getragen haben. Unter anderem berichtet Arrianus, daß die Reiter hierbei "statt mit Panzern ... mit diesen völlig entsprechenden kimmerischen Gewändern bekleidet" gewesen seien; diese "kimmerika chitonia" beschreibt Arrianus ferner als scharlachrot, purpurn oder ganz bunt (Arr. takt. 34,6). F. Kiechle beschäftigte sich in seiner Studie über "Die »Taktik« des Flavius Arrianus" auch mit der Herkunft dieser "Stoffpanzer" und stellte bezugnehmend auf deren spezielle Bezeichnung und unter Zugrundelegung der Behauptung, daß Kimmerier im achten Jahrhundert v.Chr. die nordpontischen Steppen besiedelt hätten, die Frage, "ob die »kimmerischen Gewänder« der Akteure wirklich aus Südrußland übernommen waren" (Kiechle 1964, 118). Die Beschreibung der "kimmerischen Gewänder" durch Arrianus ließ zunächst vermuten, daß diese "im Grunde offenbar skythischen »Linnenpanzern«" entsprechen würden (so Kiechle 1964, 118), vor allem da die von Arrianus ebenfalls erwähnten Reiterhosen (Arr. takt. 34,7) eine weitere Verbindung zwischen den "kimmerika chitonia" und der Bekleidung von Skythen herstellten. Und ebenso wie die auf Vasenbildern abgebildeten Skythen in der Regel "bunt" verzierte Chitons tragen (vgl. Vos 1963, 4), sollen auch die "kimmerischen Gewänder" farbig gewesen sein. Allerdings fiel F. Kiechle auf, daß die Kleidung, die auf den Vasenbildern gemeinhin als skythisch identifiziert wird, "nicht sonderlich gut zu den tatsächlich von den Skythen getragenen Gewändern" paßt (Kiechle 1964, 119). Indem sich Kiechle der Meinung anschloß, daß die Reiter auf der "pontischen" Vase aus Vulci eindeutig als Kimmerier identifiziert werden könnten, mußte er notwendig zu dem Ergebnis kommen, daß sich die Skythendarstellungen in der Vasenmalerei am kimmerischen Vorbild orientiert hatten. Weil Kiechle allerdings eine direkte Vermittlung der "alten kimmerischen Tracht" von Kimmeriern in die römische Kavallerie ausschließen mußte, schien ihm - unter Berufung auf die "enge ethnische und kulturelle Verwandtschaft zwischen Thrakern und Kimmeriern" 74 - die Übernahme der "kimmerischen" Kleidung infolge der Rekrutierung thrakischer Reiter erfolgt zu sein (Kiechle 1964, 119.120).

Die früheste Erwähnung eines leinenen Panzers in der griechischen Literatur findet sich in der Ilias (Hom. Il. II 529.830). Auch der um 600 v.Chr. lebende Lyriker Alkaios beschreibt einen "Panzer aus Leinen" als Bestandteil einer Hoplitenrüstung (Alk. Frg. 54 D.). Leinene Panzer werden auch von Herodot an mehreren Stellen seines Werkes erwähnt. So soll der ägyptische Pharao Amasis solche Rüstungen als Geschenke an die Spartaner bzw. an das Heiligtum der Athene in Lindos geschickt haben; diese Panzer aus Leinen sollen mit vielen eingewebten Figuren und mit goldenen und baumwollenen Einschlägen verziert gewesen sein (Hdt. III 47; vgl. II 182). Auch zur Ausrüstung der phoinikischen Schiffsbesatzungen der persischen Expeditionsflotte, die sich am Feldzug des Xerxes gegen Griechenland beteiligte, sollen nach dem Bericht Herodots derartige "leinene Panzer" gehört haben (Hdt. VII 63), ebenso wie Herodot von den Assyrern berichtet, daß sie "leinene Panzer" getragen hätten (Hdt. VII 89,1). Jedoch können berechtigte Zweifel aufkommen, ob Herodot in jedem dieser Fälle berechtigterweise von einer "Panzerung" aus Leinen ausgeht 75.

Ein schriftlicher Vertrag aus der Zeit des Dareios II., der unter anderem auch die Verpflichtung eines der Vertragspartner enthält, einen bewaffneten Reiter mitsamt Pferd zur Verfügung zu stellen, zum Gegenstand hat und die einzelnen Ausrüstungsgegenstände dieses Soldaten auflistet, erlaubt die Rekonstruktion der typischen Rüstung eines babylonischen 76 Panzerreiters (Ebeling 1952). Auffälligerweise stimmt diese Rekonstruktion mit der Beschreibung Herodots der assyrischen Teilnehmer am Griechenlandfeldzug des Xerxes bis auf das angegebene Material des Panzers überein. Diese Abweichung erklärte E. Ebeling jedoch dadurch, daß der Panzer des Reiters aus einem mit Eisenplättchen besetzten Leinenwams bestanden habe (Ebeling 1952, 208.209). E.V. Cernenko ging davon aus, daß auch die Skythen die Anregungen für ihre Schuppenpanzer - kleine Metallschuppen auf einer Lederunterlage - durch Kontakte mit dem Orient erhielten (Cernenko 1991, 131). Möglicherweise deutete auch Herodot bisweilen das leinene Unterkleid als Panzerung. Zwar scheint die Ausstattung eines etruskischen Kriegers im sogenannten "Tomba del guerriero", das in die Zeit um 700 v.Chr. datiert wird, die Verwendung von Leinenpanzern im etruskischen Bereich klar zu belegen (Alföldi 1967, 32), aber auffälligerweise fehlen in diesem in der Nähe Tarquinias ungestört aufgefundenen Grab auch weitere Defensivwaffen wie Helm und Beinschienen 77, während mit Schwert, Lanze und Streitaxt die Angriffsbewaffnung vollständig erscheint (vgl. Helbig 1905, 288-292). Folglich ist nicht auszuschließen, daß der vorgefundene "Leinenpanzer" eventuell nur als Unterkleid und Auflage der eigentlichen Panzerung diente. Bestätigung findet diese Vermutung in bildlichen Darstellungen: Auf etruskischen Tempelterrakotten der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts v.Chr. tragen die Krieger deutlich erkennbar knielange Gewänder unter ihrer Panzerung. Darstellungen von Hopliten auf in Etrurien gefundenen Gefäßen des späten sechsten und frühen fünften Jahrhunderts v.Chr. zeigen ebenfalls etwa hüftlange Unterkleider (Stary 1981, 72 Taf. 36,1). Die auf dem "Panzer" des "Tomba del guerriero" festgestellten, jedoch stark korrodierten Bronzebleche, die von der Brust über die Schulter bis zum Rücken reichten (Helbig 1905, 290), könnten der Befestigung der eigentlichen Panzerung gedient haben. Eventuell weist diese im "Tomba del guerriero", das durch die Mitgabe von zwei bronzenen Pferdetrensen zudem als Reitergrab ausgewiesen ist, beobachtete Rüstungstechnik auf eine vor allem Reitern eigene Art der Bekleidung bzw. Bewaffnung hin. Wenn Arrianus von Gewändern spricht, die den üblichen Panzern völlig entsprochen haben (Arr. takt. 34,6), so hatte er eventuell nur den Zustand beschrieben, daß bei den Reiterübungen zur Gewichtsreduzierung auf das Anlegen der eigentlichen Panzerung über der polsternden Leinenunterlage verzichtet worden ist.

Um die von Arrianus berichtete "Buntheit" der sogenannten kimmerischen Gewänder - scharlachrot, purpurn oder ganz bunt - zu erklären, muß man weder die Kimmerier noch die Thraker 78 als Urheber bemühen. Vielmehr deuten die Farben auf die Übernahme von Traditionen hin, die bis in frührepublikanische Zeit zurückreichten. So berichtet Livius, daß Numa Pompilius, der zweite der sagenhaften Könige Roms, für den Mars Gradivus die Priesterschaft der Salier gestiftet hatte und diesen Priestern als spezielles Abzeichen ein bunt besticktes Hemd bestimmte: "Salios item duodecim Marti Gradivo legit tunicaeque pictae insigne dedit" (Liv. I 20,4). Auch Plutarch nennt den Numa Pompilius als Stifter dieser Priesterschaft der Salier und beschreibt als deren spezielle Kleidung kurze, purpurne Röcke (Plut. Num. XIII 1.7). Zur Amtstracht der Salii gehörte ferner der trabea genannte Reitermantel, der von Dionysios von Halikarnassos als mit einem purpurnen Saum und mit scharlachroten Streifen verziert beschrieben wird (Dion. Hal. ant. II 70,2), wobei A. Alföldi belegen konnte, daß diese trabea geradezu unzertrennlich mit den Traditionen der römischen Reitertruppe verbunden war (Alföldi 1952, 36-53; 1967, 37-43). Es kann also kaum verwundern, daß das römische Militär des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts bei der Ausstattung seiner Reiter diese Traditionen wieder aufgriff. Jedoch kann darüber, warum diese Reiterhemden den Namen "kimmerika Chitonia" erhielten, nur spekuliert werden.

Herodot berichtet, daß die von ihm als Assyrier vorgestellten Teilnehmer des Xerxes-Feldzuges nur von den Barbaren so genannt worden seien, während die Hellenen den Namen Syrier benutzten (Hdt. VII 63). Syrier nennt Herodot aber auch eine weitere an diesem Feldzug teilnehmende Gruppe, von der er aber behauptet, daß sie von den Persern Kappadokier genannt wurden (Hdt. VII 72). Die Benennung Syrier für diese rechts des Halys wohnenden Untertanen der Perser weist er ebenfalls den Hellenen zu (Hdt. I 72; vgl. V 49). Herodot selbst aber benutzt die "persische" Bezeichnung Kappadokien an mehreren weiteren Stellen, ohne explizit auf die Herkunft des Namens einzugehen (Hdt. I 71; I 73; I 76; V 52, VII 26).

Von Bedeutung könnte nun sein, daß Herodot von den Syriern genannten Kappadokiern berichtet, daß diese ebenso gerüstet waren wie die Paphlagoner, von denen er wiederum das Tragen "geflochtener Helme" mitteilt (Hdt. VII 72). Aber auch von den "Assyriern" erzählt Herodot, daß sie "eherne Helme, die auf fremdländische Art geflochten" waren, auf dem Kopf trugen (Hdt. VII 63). Auch die herodotische Beschreibung der übrigen Bewaffnung der beiden als Syrier bezeichneten Gruppen stimmt mit der Nennung von Schild, Lanze und Schwert im wesentlichen überein (vgl. Hdt. VII 63 mit Hdt. VII 72). Leinene Brustpanzer nennt Xenophon auch als charakteristisch für die an der Südostküste des Schwarzen Meeres angesiedelten Chalyber (Xen. anab. IV 7,15). Möglicherweise hatte sich in dem ostkleinasiatischen Gebiet, wobei Assyrien sich Kappadokien südöstlich anschloß, eine gleichartige Bewaffnung herausgebildet, zu welcher ebenfalls der zuletzt auch von den Persern übernommene Leinenpanzer gehörte (vgl. Xen. Kyr. VI 4,2). Kappadokien aber erscheint in armenischen Quellen als das "Land Gamirkh", wobei dieser Name zumeist als "Land der Kimmerier" gedeutet wurde, da eine zeitweilige Besiedlung Kappadokiens durch Kimmerier angenommen wurde (vgl. Diakonov 1984, 175 Anm. 253). Unter Berücksichtigung dieser Umstände fällt auf, daß einerseits "Kimmerika chitonia" allein bei Arrianus überliefert sind (vgl. Pape u. Benseler 1911, 662) und andererseits Arrianus mehrjähriger Statthalter in Kappadokien war (Lendle 1992, 250). Arrianus könnte auf die Idee gekommen sein, Ausrüstungsgegenstände der römischen Reitertruppe dadurch zu charakterisieren, daß er sie durch ihre spezielle Namensgebung mit ihm aus dem kleinasiatischen Raum bekannten Rüstungsteilen verglich.


74 F. Kiechle verwies auf die Angaben F. Hancars zur Existenz der "Thrako-Kimmerier im Donauraum" und auf den angeblichen "archäologischen Niederschlag thrako-kimmerischer Stammesbewegungen" (Hancar 1956, 140.142).
75 Zudem erschwert der Umstand, daß in den meisten Quellen der Brustpanzer ohne Angabe des Materials einfach "Thorax" genannt wird, den Nachweis von leinenen Panzern anhand schriftlicher Quellen (vgl. Bittner 1987, 167).
76 Herodot verwendet die Namen Assyrien und Babylonien zuweilen synonym. Hier scheinen sich die Zustände zur Zeit des Herodot widerzuspiegeln, in der Babylonien und Assyrien eine Satrapie bildeten (vgl. Hdt. III 92,1).
77 Der vorhandene Schild war für den Kampf unbrauchbar, weil das verwendete Bronzeblech viel zu dünn war und der Schild keinen wirksamen Schutz bieten konnte (vgl. Helbig 1905, 290.291); diese Waffe scheint somit eine speziell für die Grabausstattung gefertigte Totengabe zu sein. Das Fehlen von Schutzwaffen in Gräbern könnte typisch für ein reiternomadisches Milieu sein. J. Werner nannte es "auffällig", daß in den von ihm untersuchten Gräbern der Attilazeit trotz der strikt geübten Waffenbeigabe jegliche Schutzwaffen fehlen (J. Werner 1956, 56).
78 F. Kiechle meinte, daß die von Arrianus betonte Buntheit der "kimmerika Chitonia" auf die Thraker als Übermittler verweise, weil deren "Vorliebe für bunte Gewänder" allgemein bekannt gewesen sei (Kiechle 1964, 119).


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel