4.3.1.1 Die Sage der Skythen

Nach einer Erzählung, die von Skythen selbst erzählt worden sein soll (Hdt. IV 5,1.2; IV 7,1; IV 8,1), hat in dem ursprünglich unbewohnten Land als erster Mensch Targitaos, ein Sohn des Zeus und einer Tochter des Flusses Borysthenes, gelebt, wobei Herodot seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Elternschaft des obersten Gottes und der Tochter eines Flußgottes ausdrücklich betont (Hdt. IV 5,1). Von Targitaos sollen drei Söhne abstammen: Lipoxais, Arpoxais und Kolaxais, wobei sich diese drei Brüder zunächst zu gleichen Teilen die Herrschaft teilten. Als jedoch vom Himmel vier goldene Gegenstände gefallen waren - ein Pflug, ein Joch, eine Streitaxt und eine Schale -, konnten die beiden älteren Bruder sie nicht berühren, weil diese Gegenstände bei deren Annäherung wie Feuer brannten. Als aber der jüngste der Brüder die Gegenstände an sich nehmen konnte, verzichteten die beiden älteren freiwillig auf ihre Machtansprüche zugunsten des Kolaxais. Von diesen drei Brüdern sollen verschiedene skythische Stämme abstammen, die sich aber alle zusammen nach einem Beinamen des Königs "Skoloten" nannten 147.

Diese Version scheint, wie auch Herodot dreimal wiederholt, wirklich eine skythische Sage wiederzugeben (vgl. dazu Aly 1969, 120), wobei der Versuch, unverkennbar hellenischen Einfluß in der Bildung der Geschichte "nach Art griechischer Völkergenealogie" zu sehen (so Niese 1907, 436), unverständlich ist 148.


147 (Hdt. IV 6,2): "Alle Stämme zusammen nennen sich Skoloten, d.h. Königliche."
148 Zwar scheint die Nennung Zeus' als Vater des Targitaos griechischen Einfluß zu verraten, aber hier muß angenommen werden, daß Herodot den vertrauten Namen des griechischen Göttervaters für den eines skythischen obersten Gottes einsetzte. Solche Abstammungsgeschichten sind jedoch eben nicht nur auf griechische Vorbilder zurückzuführen. Vielmehr scheint sowohl die Dreigliederung der letzten Generation als auch die Besonderheit, daß Vater und Großvater genannt werden, weit verbreitet gewesen zu sein (Wenskus 1961, 146-149). Auch im Vorderen Orient lassen sich derartige Beispiele finden (vgl. Gen. 5,1-32; 10,1-32). Zu Herkunftssagen als Teil der Traditionen einer Gemeinschaft vgl. auch Wenskus 1961, 56-59.


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