9.1.2 Zur Lokalisierung von "Gamir"

Die Ansicht, daß Gamir - das vermutete Siedlungsgebiet der Gimirrai zur Zeit Rusas und Sargons - nördlich von Urartu anzusiedeln sei, resultiert im wesentlichen aus der durch Herodot überlieferten Behauptung, daß die Kimmerier aus den nordpontischen Steppen über den Kaukasus nach Kleinasien - also aus dem Norden - gekommen seien. So ging auch R. Werner einerseits davon aus, daß die Kimmerier ihre ursprünglichen Wohnsitze am Nordufer des Schwarzen Meeres gehabt hätten - da dies von Herodot und Strabon bezeugt sei -, um dann andererseits darauf aufmerksam zu machen, daß diese Kimmerier historisch erst greifbar werden, nachdem sie diese Wohnsitze verlassen hätten und in die Welt des Vorderen Orient eingefallen seien (R. Werner 1961, 129). Die "Lokalisierung der urkundlich erfaßbaren Ereignisse, die Urartu im Zusammenhang mit den Kimmeriern und Skythen trafen" - und die letztendlich ebenfalls auf der Darstellung des Herodot basierte -, veranlaßte auch F. Hancar zu der Aussage, daß diese Stämme über den Kaukasus und durch Transkaukasien gekommen seien (F. Hancar 1949, 304). Eine derartige Verbindung der aus assyrischen Quellen gewonnenen Erkenntnisse mit der griechischen Überlieferung veranlaßte F.W. König schließlich sogar zu dem Versuch, den Weg, den "jene Kämpfer, die Gimirrai genannt wurden" im Vorderen Orient genommen haben, als direkt von den jeweiligen Machtverhältnissen in jenen Gebieten bedingt über Transkaukasien, Armenien, Kappadokien, Syrien und Assyrien bis zum Zagros zu rekonstruieren (König 1934, 19).

Die Briefe Sanheribs an seinen Vater Sargon, aus denen die Existenz eines Gamir genannten Landes hervorgeht, machen jedoch keine direkt auswertbaren Angaben zu dessen genauer geographischer Lage. Nur die relative Nähe zu Urartu läßt sich aus der Beschreibung der Ereignisse unmittelbar entnehmen. Die einzige weitere geographische Information, die sich im ausdrücklichen Zusammenhang mit der Nennung Gamirs in einem der Briefe Sanheribs findet, ist die Aussage, daß zwischen Urartu und Gamir ein Guriania genannter Landstrich liegen würde (Deller 1,1; ABL 146). Aber auch diese Erwähnung Gurianias steht isoliert, wobei sprachwissenschaftliche Untersuchungen zur Identifizierung dieser Landschaft zu unterschiedlichen Ergebnissen führten: Guriania wurde im Nordwesten, Norden oder Nordosten von Urartu lokalisiert (vgl. Kristensen 1988, 13.14). Dabei ist die grundsätzliche Entscheidung, Guriania eher in einer nördlichen Himmelsrichtung zu suchen, ebenfalls deutlich von der griechischen Überlieferung der kimmerischen Herkunft aus dem Norden geprägt. Diese führt zumeist dadurch, daß von einer anschließenden Westwanderung der Kimmerier in Richtung Lydien ausgegangen wird, zur Lokalisierung Gamirs - und damit auch Gurianias - eher nordwestlich von Urartu. Die durch den Gleichklang von "Guriania" mit "Quriani" angeregten Versuche, Guriania mit diesem Land Quriani, das nach Angaben in den Annalen Sarduris' II. relativ sicher in die Gegend des heutigen Leninakans lokalisiert werden kann, gleichzusetzen (vgl. Ivancik 1993, 26-28), schien diese nördliche Lokalisierung Gamirs zu bestätigen. Auch R. Ghirshman ging davon aus, daß Guriania an der Nordwestgrenze der urartäischen Einflußzone lag. Ebenso ging er davon aus, daß am Ende des achten Jahrhunderts v.Chr. im östlichen Kleinasien ein "Land der Kimmerier" schon längere Zeit existiert haben müsse, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, daß die "Kimmerier" ursprünglich aus Gebieten nördlich des Kaukasus gestammt hätten (Ghirshman 1964b, 285). Die Identifikation von "Guriania" mit "Quriani" ist jedoch, worauf kürzlich M. Salvini hinwies, nicht zwingend (Salvini 1995, 86.87).

Der Umstand, daß die Darstellungen des Strabon und des Herodot von Bedrohungen Phrygiens und Lydiens durch die Kimmerier berichten, die auch E. Forrer in den Gimirrai der assyrischen Quellen wiedererkennen wollte, veranlaßte diesen dazu, in einer Befestigung auf dem südöstlich von Jozdad gelegenen Kerkenes-Dag, die mit einer Ausdehnung von 1,6 x 2,3 km2 ebenso groß wie Bogazköy, die ehemalige Hauptstadt des Hatti-Reiches ist, das Zentrum eines Kimmerierreiches zu identifizieren (Forrer 1927, 38.39). Die Kritik K. Bittels an dieser Identifizierung richtete sich schließlich weniger gegen die konkrete Lokalisierung - schließlich sei ja bei Herodot eine zeitweilige Besiedlung der Halbinsel von Sinope durch Kimmerier bezeugt - als gegen die Vorstellung der Errichtung eines "Reiches" oder gar der Gründung einer Hauptstadt vom Umfang und von der Bauart der Bergstadt auf dem Kerkenes-Dag. Diese Vorstellung widerspräche der Darstellung der Kimmerier in der assyrischen und der griechischen Überlieferung, die diese als unstete und verderbenbringende Scharen darstellen würde (so Bittel 1942, 57). Neuere Untersuchungen weisen inzwischen darauf hin, daß in der Stadt auf dem Kerkenes-Dag eventuell das von Herodot erwähnte Pteria (Hdt. I 76) zu identifizieren ist, womit es sich bei diesem Ort um eine medische Gründung aus der Zeit nach 585 v.Chr. handeln würde (vgl. Summers 1997).

Auch ohne davon auszugehen, daß die im "Gottesbrief" des Sargon überlieferte Schlacht am Berg Uaus gegen Rusa identisch mit derjenigen ist, die Rusa im Land Gamir geschlagen und verloren hat, zwingt der Umstand, daß als Ausgangsgebiet des Vorstoßes der Gimirrai nach Urartu das Land der Mannäer genannt wird, dazu, dieses Land Gamir eindeutig im Süden von Urartu in der Nähe von Manna zu lokalisieren. Damit hätten sich Gimirrai bereits zur Zeit Sargons II. nicht etwa in Transkaukasien, sondern im Bereich des iranischen Hochlandes befunden, wo sie dann auch zur Zeit von dessen Enkel Assarhaddon anzutreffen waren (vgl. Salvini 1995, 87).

Kein assyrischer König hat in wenigen Jahren so oft die Götter befragt wie Assarhaddon, wobei er sich häufig weniger nach dem Erfolg eigener Unternehmungen, sondern nach zu erwartenden Angriffen seiner Feinde erkundigte. Eine dieser Anfragen zeigt die Sorge des Assyrerkönigs um das Schicksal der westiranischen Stadt Kilman, weil Assarhaddon um die Beantwortung der Frage bat, ob diese Stadt innerhalb der nächsten 40 Tage und Nächte von Kastarit, dem Stadtherrn von Karkassi oder von dem Sarpardäer Dusanni oder durch "Kimmerier", Meder oder Mannäer oder irgendeinen anderen Feind eingenommen würde (Soden 1962, 112). Diese Erkundigung macht deutlich, daß zur Zeit des Assarhaddon die "Kimmerier" im geographischen Umfeld Mediens 483 und Mannas zu finden waren. Der Brief Sanheribs an seinen Vater, der einen "kimmerischen" Vorstoß nach Urartu von Manna aus berichtet (Deller 2,1; ABL 112), macht außerdem klar, daß diese "Kimmerier" bereits zur Zeit Sargons II. im gleichen Gebiet gewesen sein müssen. Der Umstand, daß wahrscheinlich sogar ein Teil von Manna nach ihnen benannt worden ist - nämlich Gamir -, läßt sogar vermuten, daß die Gimirrai bereits deutlich vor dem Jahr 714 v.Chr. dieses Gebiet besiedelten.

Es kann kaum deutlich und häufig genug darauf hingewiesen werden, daß sich fast alle bisherigen Versuche, die Lage des Landes Gamir zu lokalisieren, von der herodotischen Ansicht leiten ließen, daß die Kimmerier von Norden über den Kaukasus in den Vorderasiatischen Raum eingedrungen seien. Untersuchungen, die sich nur auf die assyrischen Zeugnisse stützen, können hingegen überzeugend darlegen, daß Gamir möglicherweise die assyrische Bezeichnung einer Landschaft auf mannäischem Gebiet war (Kristensen 1988, 90). Der Umstand, daß der "kimmerische" Vorstoß nach Urartu nur im Zusammenhang mit dem achten Feldzug des Assyrers Sargon II. gesehen werden kann, macht deutlich, daß diese "Kimmerier" zu jener Zeit zumindest als Verbündete der Assyrer, wenn nicht sogar als Teil des assyrischen Heeres selbst angesehen werden müssen.


483 Im Bericht des Sargon über seinen achten Feldzug werden Meder unter den Völkern aufgezählt, deren Land während der vorherigen Expedition verwüstet wurde (Mayer 1983, 71 Z. 39.40). Zudem belegt dieser Bericht die unmittelbare Nachbarschaft von Mannäern und Medern (Mayer 1983, 75 Z. 75).


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