9.3 Bemerkungen zum persischen Sakenbegriff

Als der Bericht über den Feldzug des Xerxes gegen Griechenland ihm den Anlaß zur Beschreibung der persischen Heeresmacht gibt, zählt Herodot unter den teilnehmenden Stämmen auch Saken auf, die er dabei unmißverständlich als skythischen Volksstamm bezeichnet (Hdt. VII 64,2). Herodot erläutert, daß der eigentliche Name dieses Skythenstammes zwar Amyrgier gewesen sei, daß aber die Perser alle Skythen als "Saken" bezeichnet hätten (Hdt. VII 64,3.4) 505. Nun wissen wir aber von Herodot über den Namen "Skythen" auch, daß er nur von den Griechen verwendet wurde 506, während die Skythen sich selbst "Skoloten" genannt haben sollen (Hdt. IV 6). Somit hätten also die Benennungen "Skoloten", "Saken" und "Skythen" - jeweils abhängig vom Benutzer - nebeneinander zur Bezeichnung ein und desselben "Volkes" gedient. Allerdings machen die Beschreibungen Herodots klar, daß zumindest die Griechen die mit ihnen in Berührung kommenden nomadischen Gruppen nicht immer klar in ihrer ethnischen Zugehörigkeit erkennen konnten. So berichtet Herodot beispielsweise, daß auch die Massageten für einen Skythenstamm 507 gehalten worden seien (Hdt. I 201). An anderer Stelle jedoch gibt Herodot an, daß, "was die Hellenen von den Skythen erzählen, ... nicht Sitte der Skythen, sondern vielmehr der Massageten" sei (Hdt. I 216,1). In der griechischsprachigen Literatur lassen sich problemlos weitere Belege für die verwirrenden antiken Beschreibungen der nördlichen Nachbarn der Hellenen finden 508. Zwangsläufig stellt sich die Frage, wie die Griechen ihre nördlichen und nordöstlichen Nachbarn überhaupt unterscheiden konnten, wenn ihnen zu dieser Differenzierung nicht deren Sitten, deren Kleidung oder deren Sprache gedient hatte 509. Zumindest muß davon ausgegangen werden, daß die betroffenen "Völker" selbst in der Regel an diesen Einteilungen und Benennungen nicht beteiligt waren, zumal die Namen häufig direkt den griechischen Einfluß verraten 510. Die Frage, ob die Griechen ihre nördlichen Nachbarn unterscheiden konnten, führt notwendigerweise auch zu derjenigen, ob dies den Bewohnern des Vorderen Orients möglich gewesen ist.

Die von Herodot aufgestellte Behauptung, daß die Perser alle Skythen als "Saken" bezeichnet hätten, scheint in achämenidischen Inschriften ihre Bestätigung zu finden. So listet beispielsweise die sogenannte "Große Inschrift" an der unteren Hälfte des Felsen von Bisutun unter den 23 Ländern, die dem Dareios bei seinem Regierungsantritt unterworfen waren, in der altpersischen Version der dreisprachigen Inschrift auch den Namen "Saka" auf (vgl. Weissbach 1911, 12; Walser 1966, 27). Diese Benennung kehrt auch auf einem der Bisutun-Inschrift zeitlich sehr nahestehenden Text aus Persepolis wieder, der gängig als "Inschrift Dareios Persepolis e" bezeichnet wird (Lehmann-Haupt 1921, 423; Walser 1966, 29.30).

Es findet sich - wobei daran erinnert werden soll, daß Herodot die Identität von Saken und Skythen nur einmal behauptet (Hdt. VI 64) - im herodotischen Werk allerdings auch eine Passage, welche eine Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen Saken und Skythen suggeriert. Während die Saken bei den von den Persern unterworfenen Völker aufgezählt werden, erscheinen hier die Skythen als ein Volk, das sich erfolgreich gegen die persische Unterwerfung wehren konnte (Hdt. VII 9,2; VII 10,2). Versuche, die mit der gemeinsamen Bezeichnung "Skythen" bzw. "Saken" versehenen Reiternomaden bei gleichzeitiger Beibehaltung eines kollektiven Oberbegriffs zu differenzieren, gab es hierbei schon in der Antike. Zumeist führten diese Versuche zu dem Ergebnis, den Namen "Saken" gleichbedeutend mit "asiatische Skythen" zu behandeln, denen die "europäischen Skythen" gegenübergestellt wurden (vgl. dazu Arr. anab. III 8,3; IV 1,1.2; Curt. VI 2,13).


505 Plinius behauptet, daß die Perser die Skythen deswegen als Saken bezeichnet hätten, weil dies der Name eines ihnen unmittelbar benachbarten skythischen Stammes gewesen sei (Plin. nat. VI 50).
506 Merkwürdiges hat Herodot auch über den Namen der Perser zu berichten. Ursprünglich hätten die Perser bei den Griechen Kephener geheißen, während sie sich selbst Artaier genannt hätten (Hdt. VII 61,2); ihren späteren Namen aber würden sie dem griechischen Zeussohn Perseus verdanken (Hdt. VII 61,3).
507 Dabei sollen die Massageten ähnliche Kleidung wie die Skythen getragen haben und sollen auch eine ähnliche Lebensweise gehabt haben (Hdt. I 215,1).
508 Von den Neurern berichtet Herodot, daß sie diesselben Sitten wie die Skythen hätten (Hdt. IV 105,1), ebenso wie die Melanchlainer (Hdt. IV 107). Die Androphagen indes sollen zwar eine der skythischen ähnliche Kleidung getragen, aber eine eigene Sprache gesprochen haben (Hdt. IV 106). Hekataios bezeichnet die Issedonen als skythisches Volk (Steph. Byz. 339,18), und Arrianus nennt sogar die Kimmerier als skythisches Volk (Eusth. 246,21.22 [Eusth. ad Hom. Od. XI 14, 1671,27]).
509 Es drängt sich der Verdacht auf, daß allein die aktuelle geographische Verteilung der Stämme als unterscheidendes Merkmal benutzt wurde.
510 So "verdanken" die "Melanchlainoi" = "Schwarzmäntel" beispielsweise ihren griechischen Namen der schwarzen Kleidung (Hdt. IV 107; Mela II 14), und der Name der "Anthrophagoi" = "Menschenfresser" leitet sich von deren Sitte ab, Menschenfleisch zu verzehren (Hdt. IV 106).


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