3.1.1.1 Zum sogenannten "skythischen" Bogen

Die herodotische Beschreibung der "skythischen" Tracht beschränkt sich auf die Nennung der spitzen Mützen und der für einen Griechen ebenfalls ungewöhnlichen Hosen; zwar spricht Herodot auch die Ausrüstung dieser von den Persern "Saken" genannten Skythen mit besonderen Bögen an, geht aber auf die Besonderheit dieser Waffe nicht näher ein (Hdt. VII 64,2). Aischylos bezeichnet die Skythen "mit weitreichendem Bogen stark und wohl bewehrt" (Aischyl. Prom. 711) 39, womit er vor allem die große Reichweite der skythischen Bogenwaffe hervorgehoben hat. Bei Stephanos von Byzanz findet sich indes unter dem Stichwort "Abioi" die Eintragung, daß die Lebensweise aller nomadischen Völker wesentlich durch den Gebrauch des Bogens gekennzeichnet gewesen sei (Steph. Byz. 7,13-15). Ovid berichtet beispielsweise auch von den Sarmaten und den Geten, daß diese nie ohne Bogen und Köcher anzutreffen seien: In quibus est nemo, qui non coryton et arcum telaque vipereo lurida felle gerat (Ov. trist. V. 7,15.16). Während aber für die Thraker die Bewaffnung mit Wurfspeeren und leichten Schilden 40, der sie die bei den Griechen übliche Benennung als "Peltasten" verdankten, als charakteristisch angesehen wurde (Snodgrass 1984, 155), wurde die Kennzeichnung "skythisch" geradezu sprichwörtlich 41 für einen speziellen Bogentyp: den sogenannten "toxon skythikon". Die direkten Zusammenhänge zwischen der Entwicklung dieses "Kompositbogens" 42 als typischer Reiterwaffe und den reiternomadischen Kulturen sind allerdings im Unklaren (vgl. Eckhardt 1996, 62). Dennoch ist diese Verbindung so stark, daß es eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, auch den Kimmeriern mit dem Reiternomadentum zugleich die Bewaffnung mit Kompositbögen unterstellen zu können (vgl. Rausing 1967, 107-109).

Abb. 10: Skythendarstellung vom Goldbecher aus Kul'-Oba

Abb. 10: Skythendarstellung vom Goldbecher aus Kul'-Oba
(nach Jettmar 1964, Fig. 4).

Während der sogenannte "griechische Normalbogen" im gespannten Zustand eine halbrunde Kontur hat, ist dagegen der "skythische" Kompositbogen durch die dem griechischen Buchstaben Sigma ähnelnde Form auf den Vasenbildern klar von ersterem zu unterscheiden (vgl. Vos 1963, 48). Im entspannten Zustand ist dieser Kompositbogen in einem in Hüfthöhe getragenen Behälter untergebracht, der sich vom gewöhnlichen Köcher zunächst durch seine größere Breite und dadurch unterscheidet, daß eine Langseite eine Ausbuchtung für den gekrümmten Bogen aufweist. Während das allgemeine griechische Wort für Köcher Pharetra ist - normalerweise handelt es sich bei dieser Pharetra um einen auf dem Rücken getragenen Behälter nur für Pfeile (Pind. Ol. II 91; Hesych s.v. Pharetron) -, wird der an der Hüfte getragene Bogenbehälter, dessen Aufgabe neben der Aufnahme von Pfeilen auch die des Bogens ist 43, Goryt genannt 44. Gewiß war es auch Aufgabe dieses Behälters, die empfindliche Waffe gegen Witterungseinflüsse zu schützen, wobei der aus verschiedenen Materialien zusammengesetzte Kompositbogen besonders sensibel war (Korfmann 1972, 19.215). In einem geschlossenen Goryt war der Bogen wohl selbst vor Regen wirksam geschützt.

A. Hancar behauptete, daß die in einem Goryt aufbewahrten Waffen Bogen und Pfeil zum typischen Erscheinungsbild eines Skythen gehören würden (A. Hancar 1972, 4). Es stellt sich somit die Frage, ob auch die Umkehrung dieser Auffassung statthaft ist: ob also das Tragen oder die Benutzung eines "skythischen" Bogens demnach als Indiz für eine skythische Volkszugehörigkeit gewertet werden kann. In Bogenschützen zumindest in Einzelfällen auch Griechen zu identifizieren, wurde etwa von M.F. Vos mit dem Hinweis auf eine Bemerkung des Pausanias 45 abgelehnt (Vos 1963, 59 Anm. 1). W. Raeck hingegen hielt es für "nicht unwahrscheinlich", daß Bogenschützen auf den attischen Vasen des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts, die nicht klar "als Orientalen" gekennzeichnet sind, doch "für Griechen gehalten werden müssen" (Raeck 1981, 25) 46. Schließlich zeigen attische Vasenbilder nachweislich den Kompositbogen auch in den Händen von Personen, die eindeutig keine Skythen sind: dem Gott Apollon, dem Heros Herakles 47, den homerischen Bogenschützen Odysseus und Philoktet, sowie seltener auch bei als Hopliten gerüsteten Kriegern (vgl. Raeck 1981, 24.242 Anm. 102.103).

Von den auf dem Goldbecher von Kul'-Oba dargestellten sieben Skythen tragen sechs den mit Bogen und Pfeilen ausgestatteten Goryt klar sichtbar an der linken Seite (vgl. Abb. 10); nur bei einem der Krieger ist an der Stelle ein rechteckiger Schild zu sehen 48, dessen Größe jedoch durchaus ausreicht, um einen vermutlich darunter befindlichen Goryt 49 zu verdecken (dazu auch die Fotos in Gold 1984, 113-115.117). Auch in der attischen Vasenmalerei tragen die Skythen ihren Goryt fast ohne Ausnahme an der Hüfte, während auf den Vasenbildern bei den Persern häufig auch die Tragweise an der Schulter vorkommt (Vos 1963, 50).

Abb. 11: Persische Bogenschützen auf den Stufen der Apadana in Persepolis

Abb. 11: Persische Bogenschützen auf den Stufen der Apadana in Persepolis (nach Stierlin 1980, 33).

Darstellungen auf achämenidischen Reliefs bestätigen indes, daß die Perser tatsächlich zwei Arten der Bogenbewaffnung kannten (vgl. Hinz 1969, 79). Vor allem bei den medischen Adligen, vereinzelt allerdings auch bei den persischen, begegnet in den Persepolis-Reliefs die Tragweise des iranischen Bogens in einem links vom Gürtel herabhängenden Bogenkasten, der zugleich die Pfeile aufnimmt 50. Davon unterscheidet sich aber die Bewaffnung der persischen Garden (vgl. Abb. 11). Diese sind mit Bögen ausgestattet, deren Enden in Entenschnäbeln auslaufen. Den Köcher tragen sie an einem über den rechten Oberarm geschlungenen Riemen, aus dem oben die Pfeilenden herausragen und an dem eigenartige Troddeln hängen. Weil diese Ausrüstung mit Entenschnabel-Bögen und Troddel-Köchern nicht nur bei sämtlichen persischen Garden in Persepolis zu beobachten ist, sondern auch bei den elamischen Leibwachen auf den Kachelreliefs von Susa zu finden ist, kann wohl vermutet werden, daß diese Bewaffnung mit getrennt getragenen Bögen und Köchern aus Elam übernommen wurde (vgl. Hinz 1969, 89), während die Perser ursprünglich - genauso wie die Skythen - mit Goryten ausgestattet waren.

Neben der speziellen Bauart und der besonderen Tragweise des skythischen Bogens verdient auch die häufigste Einsatzart dieser Waffe erwähnt zu werden. Von entscheidender Bedeutung für die militärische Durchschlagskraft der Skythen war nämlich der Einsatz der Bogenwaffe vom Pferd aus, was den Skythen ihren griechischen Beinamen "Pferdebogner" einbrachte. Grundlegende Voraussetzung für diese Art des Bogenschießens ist eine Reitkunst im Sinne höchster Pferdebeherrschung, denn erst die Freihändigkeit ermöglicht dem Reiter den Gebrauchs der Bogenwaffe während des Ritts (A. Hancar 1972, 18). Geradezu als skythische Spezialität galt aber schließlich die mit dem Abschießen von Pfeilen vom Pferderücken aus verbundene Taktik, aus der oft als Flucht fehlgedeuteten Rückwärtsbewegung heraus den verfolgenden Gegner zu bekämpfen (Raeck 1981, 43.45) 51. Die Kenntnis dieser speziell skythischen Kampfesweise bewegte Platon wohl zu der Behauptung, daß die Skythen ihre Feinde ebenso fliehend wie verfolgend bekriegen würden (Plat. Lach. 17).


39 Auch die Erzählung des Herodot, daß Skythen den Medern Unterricht in der Kunst des Bogenschießens gaben (Hdt. I 73,3), verdeutlicht die außergewöhnliche Fertigkeit, die den Skythen im Gebrauch dieser Waffe nachgesagt wurde. Aber auch von den Persern berichtet Herodot, daß sich ihre Ausbildung auf das "Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen" beschränke (Hdt. I 136,2).
40 Auch wenn die Pelta als eine charakteristische thrakische Waffe angesehen wurde, ist sie zuweilen auch in den Händen von Skythen, griechischen Leichtbewaffneten oder von Amazonen zu sehen.
41 Die Form, die dieser "skythische Bogen" im gespannten Zustand einnahm, muß allgemein bekannt gewesen sein. So vergleicht Strabon zur Veranschaulichung der Küstenlinien des Schwarzen Meeres diese mit den Umrissen eines gespannten skythischen Bogens (Strab. II 5,22).
42 Der Name Kompositbogen für diesen Bogentyp leitet sich von dem Umstand ab, daß dieser Bogen aus mehreren Teilen unterschiedlichen Materials zusammengesetzt war (vgl. Hancar 1972, 13-17; Eckhardt 1991, 143.144; 1996, 54.60-62). Die Herkunft dieses Bogentyps ist unbekannt. Die ältesten Belege für die Existenz des Kompositbogens liegen in bildlichen Darstellungen aus Mesopotamien vor und reichen bis ins das vierte Jahrtausend v.Chr. zurück (vgl. Korfmann 1972, 215.217).
43 Bei dem von Herodot beschriebenen und als Pharetra bezeichneten Rüstungsgegenstand der Perser (Hdt. VII 61) muß es sich um einen Goryt gehandelt haben, der an der linken Seite unter dem Schild getragen wurde.
44 Die Bezeichnung "Gorytos" für einen derartigen Behälter findet sich bereits in der Odyssee (Hom. Od. XXI 54). Unklar ist, wie sich dieser Umstand damit vereinbaren läßt, daß der Name Goryt oft für ein rein skythisches Wort gehalten wird (Beneviste 1966, 481; Hinz 1969, 79). Die Beschreibung des Goryt durch Homer als "glänzende Scheide", die den Bogen umhüllt, lädt allerdings geradezu dazu ein, Vergleiche zu den goldenen Gorytbeschlägen aus reichen skythischen Gräbern zu ziehen (vgl. Gold 1991, 305 Nr. 92).
45 Pausanias berichtet, daß bei den Griechen das Bogenschießen nicht gebräuchlich gewesen sei (Paus. I 23,4).
46 Bereits A. Schaumberg vermutete "in den Bogenschützen in bunter, eng anliegender Kleidung und Mütze griechische Männer in ihrer Schützenuniform" (Schaumberg 1910, 142.143).
47 Lykophron bezeichnet aber den Bogen des Herakles, den dieser schließlich dem Philoktet vererbte, als "Maioterbogen" und als "krumme Skythenwehr" (Lyk. Alex. 917). Den Sachverhalt, daß Herakles "stets den Skythenbogen führt", begründete W. Raeck mit der von Herodot überlieferten Abstammung der Skythen von diesem Halbgott, der ihnen zudem diese Waffe erst überlassen habe (Raeck 1981, 24).
48 Auffälligerweise ist der mit dem Schild ausgestattete Skythe auch der einzige, der mit einer Lanze bewaffnet ist.
49 Herodot erzählt von den Persern, daß sie geflochtene Schilde hatten, unter denen sie während des Marsches den Köcher mit den Pfeilen trugen (Hdt. VII 61).
50 Ob die Meder unter Kyaxares während der Skythenherrschaft in das skythische Heer eingegliedert wurden und somit nicht nur in direkte Berührung mit skythischer Tracht und Bewaffnung kamen, sondern auch gezwungen gewesen seien, sich den Sitten der Skythen anzupassen (so Bittner 1987, 25), ist Spekulation und bleibt ohne Beweis.
51 Die Abbildung eines Reiters, der seinen Bogen rückwärts abschießt, findet sich aber bereits auf einem Felsrelief aus dem Palast des Assurnasirpals II., der von 883 bis 859 v.Chr. regierte (vgl. Jettmar 1964, 219.220).


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel