3.1.1.4 Zu Barbaren im "griechischen" Chiton

S. Loeschke eröffnete seinen Vortrag über "Graecia braccata" auf der zweiten gemeinsamen Tagung des Nordwestdeutschen und des Südwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Xanten und Bonn mit der Feststellung, daß "wenn ein Mensch Hosen anhat, ... er kein Grieche" sei, um dann, trotz eigenen Verweises auf den ein "eng anliegendes Gewand" tragenden "Kimerios" der François-Vase, mit der Behauptung fortzufahren, daß "alle Bogenschützen ... Hosen und enganliegende Jacken" trügen (Loeschke 1910, 45). Somit blieb Loeschke die Beantwortung der sich mit diesen Behauptungen von selbst stellenden Frage, ob es sich bei dem Kimerios der François-Vase um einen barbarischen Bogenschützen oder einen Griechen handelt, schuldig. Offen blieb ebenso, ob das Tragen eines Chitons - im Gegensatz zum Tragen von Hosen und in Umkehrung der Behauptung Loeschkes - als Indiz für eine griechische "Nationalität" gewertet werden kann.

S. Bittner erklärte ausdrücklich , daß ihm erst die "Festlegung der Begriffe »Chiton« für ein weites, fließendes Gewand und »Stole« für eine enganliegende Reitertracht" die Auswertung der Kyropädie des Xenophon als Quelle für seine Analyse zur "Tracht und Bewaffnung des persischen Heeres zur Zeit der Achaimeniden möglich machte" (Bittner 1987, 10), und so wird die Problematik deutlich, die sich mit der Verwendung dieser Bezeichnungen für bestimmte Kleidungsstücke und ihrer Übertragung auf Trachtgegenstände verbindet, die auf bildlichen Darstellungen wiedergegeben werden. Zudem beschränkte Bittner diese "Festlegung" unmißverständlich auf die Kyropädie des Xenophon, während er anderen antiken Autoren die Verwendung der Bezeichnungen auch für andere Kleidungsstücke nachsagte (Bittner 1987, 10 Anm. 1).

Von Bedeutung ist die Frage, ob das Tragen eines Chitons ein eindeutiges Indiz für die Nationalität des Trägers ist, angesichts der Tatsache, daß Bogenschützen auf Vasengemälden häufig einen Chiton tragen, wobei dieses Kleidungsstück beispielsweise auch vom M.F. Vos als "griechisch" bezeichnet wird (Vos 1963, 41). Während aber die Bezeichnung Chiton zumeist als Name für das "Hauptgewand der Griechen" erscheint (Eckstein 1965, 580), so soll der Chiton auch zur "typisch thrakischen Bekleidung" gehört haben (Vos 1963, 44), die jedoch erst durch den darüber getragenen bunten Wollmantel, die unverkennbare Fuchsfellmütze und die oft bis über die Knie hinaufreichenden Stiefel eindeutig als Ausstattung eines Thrakers identifiziert werden kann (vgl. Raeck 1981, 27). P. Ducati wiederum bezeichnete anläßlich der Beschreibung einer den Herakles zwischen zwei wilden Tieren wiedergebenden Darstellung auf einer in London aufbewahrten Oinochoe den von dem Göttersohn getragenen, kurzen weißen Chiton als "etruskische Tracht" (Ducati 1932, 19). Zwar ist Herakles sicher als Grieche anzusprechen, und das Schema des zwischen zwei wilden Tieren abgebildeten Helden ist gar auf altorientalische Vorbilder zurückzuführen (vgl. Ducati 1932, 19); für Ducati allerdings scheint bezüglich der Einordnung des Kleidungsstückes die Herkunft des Gefäßes aus Etrurien entscheidend zu sein.

Die Tatsache, daß Bogenschützen - unabhängig davon, ob sie nun mit einem kurzen Chiton und unbekleideten Beinen oder in der "orientalischen Tracht" ohne Chiton dargestellt sind - als Skythen identifiziert werden (so auch Raeck 1981, 31), verdeutlicht die unterschiedliche Gewichtung, die den einzelnen Merkmalen beigemessen wird, welche die Nationalitäten der abgebildeten Personen bestimmen sollen. Während häufig das Tragen einer spitzen Mütze allein schon als ausschlaggebendes Kriterium für die Bestimmung der Nationalität des Trägers angesehen wird, kann die Darstellung anderer Charakteristika - beispielsweise der Benutzung eines "skythischen" Bogens oder des Tragens eines "griechischen" Chitons - kaum zur ethnischen Einordnung der dargestellten Person benutzt werden. Sicherlich ist es ratsam - wie es ebenso W. Raeck vorschlug (Raeck 1981, 35) - bei einigen Vasenbildern die Benennung offen zu lassen, wenn nicht die Summe aller zur Bestimmung der "Nationalität" heranziehbaren Merkmale übereinstimmen.


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