Mit den Angaben, die uns durch Herodots Bericht zur Verfügung stehen, läßt sich keine zwingende Entscheidung für eines der beiden oben
genannten Daten treffen. Auffallen muß allerdings, daß sich in beiden Fällen die gleiche Problematik ergibt: Der Beginn der Herrschaft der
Skythen 132 und ihr Verbleiben in Asien, dessen genaue Dauer von Herodot an zwei Stellen mit 28 Jahren angegeben
wird (Hdt. I 106,1; IV 1,2), die errechnete Herrschaftszeit des Kyaxares und die das Ende der Skythenherrschaft voraussetzende Einnahme Ninivehs durch die
Meder (vgl. Hdt. I 106,2) lassen sich nicht vereinbaren. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Angabe des Herodot über die Dauer der skythischen Vorherrschaft über
Asien - zumal sie von keiner weiteren Quelle beglaubigt wird - nicht als fraglich angesehen werden muß (vgl. Baumgartner 1950, 93; Parker 1995, 27.28)
133.
Selbst wenn man die Vertreibung der Skythen und die Eroberung von Niniveh in das gleiche Jahr 612 v. Chr. setzt, muß man den Skytheneinfall in Medien rund 15 Jahre vor den errechneten Beginn der Regierungszeit des Kyaxares setzen. Damit würde der Skytheneinfall in die Herrschaftszeit des Phraortes rutschen, was aber im direkten Gegensatz zur Aussage Herodots steht 134. Eine Erklärung scheint eine vielfach bemühte Herodotstelle zu bieten (Hdt. I 106,3), die uns die Regierungszeit des Kyaxares mit 40 Jahren angibt, "wenn man die skythische Zeit mitrechnet". Wenn man hier einen Fehler Herodots annimmt und die 28 Jahre skythischer Vorherrschaft den angegebenen 40 Jahren des Kyaxares vorangehen läßt (Cameron 1936, 232 Taf. 5; Diakonov 1985, 113), lassen sich viele Widersprüche, die sich durch die Vergleiche mit den assyrischen und babylonischen Quellen ergeben, auflösen 135. Der Umstand führt zur weitgehenden Akzeptanz dieser chronologischen Abfolge in der Assyriologie (vgl. Scurlock 1990, 152).
Diesem Vorschlag folgte J.A. Scurlock insoweit, als er die Zeit der skythischen Vorherrschaft innerhalb der Herrschaftszeit des Kyaxares ansetzte und diesen
damit 28 Jahre länger und somit insgesamt 68 Jahre lang regieren ließ (Scurlock 1990, 159.160), was für die Synchronisierung mit vorderasiatischen
Quellen ähnliche Vorteile bietet, es jedoch zusätzlich ermöglicht, die Angaben des Herodot zu integrieren (vgl. Tab. 5 u.
Tab. 6). Damit ist dem Kyaxares genug Zeit gelassen, um nach dem Tode des Vaters die von Herodot beschriebene Heeresreform durchzuführen und
anschließend "ganz Asien jenseits des Halys" seinem Reich einzuverleiben (Hdt. I 103) 136, bis er auf einem
Feldzug gegen Niniveh durch Skythen eine bedeutende Niederlage hinnehmen muß. Der Zeitraum, in dem dieses Ereignis stattfand, läßt sich jedoch weiterhin
nur durch die Angaben des 28 Jahre dauernden Aufenthalts der Skythen im Bereich Mediens und der Eroberung Ninivehs einengen, wodurch zumindest theoretisch die Zeit
zwischen 653 und 640 v.Chr. für das erste Auftreten der Skythen und mit ihnen der Kimmerier zur Verfügung stünde.
Verwirrung stiftet nun aber die Aussage Herodots, daß die medische Herrschaft über Asien insgesamt 128 Jahre dauerte, abgesehen der Zeit, in welcher die Skythen herrschten (Hdt. I 130,1). Eine Addition der Regierungszeiten der vier Mederkönige ergibt aber insgesamt 150 Jahre, von denen die aus Eusebios' Chronica errechenbare Zahl 148 nur unwesentlich abweicht (vgl. Tab. 4). Da sich diese Angabe des Herodot aber nur auf den Zeitraum bezieht, in dem die Meder ganz Asien beherrschten, müßte aber die mit 53 Jahren angegebene Regierungszeit des Deiokes von der Gesamtzahl abgezogen werden, weil nach Herodot erst Phraortes ganz Asien unterwerfen kann (Hdt. I 102,2): die verbleibenden 97 Jahre lassen keinerlei Zusammenhang mehr mit der von Herodot angegebenen Gesamtzeit erkennen. Zu einem rechnerisch richtigen Ergebnis würde man durch die Subtraktion der zweiundzwanzigjährigen Regierungszeit des Phraortes gelangen, was aber innerhalb der Erzählung Herodots keinerlei Sinn ergibt. Wenn man nicht an eine Verwechslung der Regierungszeiten des Deiokes und des Phraortes glauben will (so aber Fritz 1967, 384; Miller 1965, 121), muß diese Angabe rätselhaft bleiben und kann nicht zur Klärung strittiger Fragen der Chronologie beitragen.
132 | Der Skytheneinfall wird zwar in die Zeit des Kyaxares gesetzt (Hdt. I 103,3), aber aus den Angaben Herodots läßt sich ein Beginn seiner Herrschaft erst um 625 v.Chr. errechnen. |
133 | Es ist denkbar, daß die für die Dauer des skythischen Aufenthalts in Asien von Herodot überlieferte Zahl die vage Kenntnis eines Systems von Altersklassen bei den Skythen widerspiegelt (vgl. Jettmar 1964, 221.222). Xenophon berichtet beispielsweise, daß bei den Persern eine Gliederung der Männer nach ihrem Alter üblich war. Vom siebenundzwanzigsten Lebensjahr an zählten die Perser 25 Jahre lang zur Gruppe der "reifen Männer", zu deren Aufgaben auch der Kriegsdienst außerhalb des eigenen Landes zählte (Xen. Kyr. I 2,13). Die Erzählung Herodots über die Vereinigung von Skythen und Amazonen (Hdt. IV 111-116) deutet zumindest auf die Existenz von skythischen Jungmannschaften hin. |
134 | Auffällig ist, daß Phraortes auf einer Kampagne gegen Niniveh Schlacht und Leben verliert (Hdt. I 102,2). Den Skytheneinfall läßt Herodot ebenfalls während eines medischen Feldzuges gegen Niniveh - nun unter Kyaxares - stattfinden (Hdt. I 103,2.3). |
135 | Probleme der frühesten medischen Chronologie, die in diesem Zusammenhang häufig erörtert werden, bleiben in dieser Untersuchung ausgespart, weil Herodot keine Verbindungen zwischen Skythen bzw. Kimmeriern und den Vorgängern des Kyaxares herstellt. |
136 | Die Angaben Herodots sprechen nicht - wie es V. Parker behauptete - dafür, daß Kyaxares im Jahr 653 v.Chr. König wurde und "sofort" - also noch im gleichen Jahr - gegen die Assyrer zog (Parker 1995, 23 Anm. 66). |
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