4.4.1 Herodots geographische Angaben

Es waren Ionier aus Milet, die sich zuerst mit Fragen über den Ursprung des Universums als Ganzes und mit der Anordnung seiner Teile untereinander beschäftigten. Die Wurzeln der Geographie sind in der ionischen Naturphilosophie, der wissenschaftlich ausgebildeten Astronomie sowie in der "historia", d.h. "Erkundung", fremder Gebiete im Laufe der ionischen Kolonisation zu suchen (vgl. Giesinger 1924, 521.522). In dieser frühen griechischen geographischen Forschung ist der erste genannte Name der des Milesiers Anaximander, dem die erste Weltkarte zugeschrieben wird (Strab. I 1,11; vgl. Diog. Laert. II 1.2). Das genaue Aussehen dieser Karte ist aber unbekannt (vgl. Dilke 1985, 23). Als eigentlicher "Vater der griechischen Geographie" wird jedoch der ebenfalls aus Milet stammende Hekataios bezeichnet, der eine Erdbeschreibung schrieb, die durch eine Karte 212 ergänzt gewesen sein soll (Dicks 1960, 20). Diese "Umwanderung der Erde" ist nur in Fragmenten erhalten, die sich zudem zumeist auf einfache Auflistungen der Namen von Orten entlang der Küsten beschränken, wie sie uns bei Stephanos von Byzanz erhalten sind. Aber es gibt Anzeichen dafür, daß das ursprüngliche Werk des Hekataios auch kurze Beschreibungen der die Länder bewohnenden Stämme und weitere Angaben allgemeineren Interesses enthielten.

Abb. 20: Rekonstruktionsversuch der Erdkarte des Herodot

Abb. 20: Rekonstruktionsversuch der Erdkarte des Herodot.
(nach Forbiger 1842, Karte 3).

Umfangreiche geographische Informationen, die Herodot in sein Geschichtswerk integriert hat, zwingen förmlich dazu, das Ausmaß des Zuwachses an Wissen der griechischen Geographie seit der Zeit der frühen ionischen Forscher einer Beurteilung zu unterziehen 213. Zu fragen bleibt dann aber ebenfalls, welche Steigerung der Qualität mit der größeren Quantität des Wissens erreicht wurde. Die Beschäftigung mit der Geschichte der Kimmerier im Rahmen der herodotischen Überlieferung muß dabei auch die Kenntnisse des Herodot über die Räume prüfen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Kimmerier stehen 214. Versuche, mittels von Herodot gemachter geographischer Angaben Landkarten zu zeichnen, die das Weltbild Herodots auch graphisch wiedergeben sollen, zeigen, daß dieser zumindest von den Griechenland ferneren Gegenden der Welt recht verzerrte Vorstellungen hatte (vgl. Abb. 20) 215.


212 Die griechischen Worte, die wörtlich übertragen "Umwanderung der Erde" bedeuten, wurden in einigen Fällen auch im Sinne von "Weltkarte" benutzt (vgl. Dilke 1985, 23.196).
213 Das gewachsene erdkundliche Wissen seiner Zeit äußert sich auch in der Kritik des Herodot, der die älteren ionischen Weltkarten mit ihrer runden "Oikumene", die vom kreisförmigen Ozean umgeben dargestellt ist, verspottet (Hdt. IV 36,2).
214 Auf eine besondere Behandlung der herodotischen Beschreibung Kleinasiens wird dabei allerdings verzichtet.
215 Eine Sammlung von Versuchen, die herodotischen geographischen Vorstellungen in Karten umzusetzen, findet sich bei Sieberer 1995, 320-333.


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