5.1.2 Bemerkungen zu einem nautischen Problem

R. Carpenter identifizierte die starke Strömung im Bosporos als den entscheidenden Grund, der das Schwarze Meer sowohl den helladischen als auch den frühklassischen Schiffen versperrt haben soll (Carpenter 1948, 1). Dieser Strömung wurde bereits in der Antike Aufmerksamkeit gewidmet 290, wobei aber vor allem über deren Ursache 291 spekuliert wurde (so Strab. I 3,10), ohne jedoch auf ihre konkrete Bedeutung für die Schiffahrt einzugehen. Allerdings wurde selbst noch in neuerer Zeit unter Bezugnahme auf die wahrscheinlich von der griechischen Kolonisation des Schwarzmeergebietes abhängigen Datierung der Argonautenepik zu bedenken gegeben, daß diese "erst um 650 beginnt, weil die Strömung der Meerengen so schwer zu überwinden war" (Schefold u. Jung 1989, 10.11).

Die Strömung im Bosporos ist zwar nicht einheitlich stark, erreicht aber auf der Höhe des antiken Byzanz eine Stärke von über fünf Knoten (Carpenter 1948, 2). Somit dürfte kein Schiff aus der Ägäis in das Schwarze Meer gelangen, das nicht mindestens mit einer Geschwindigkeit von knapp über fünf Knoten - das entspricht 9,26 km/h - fahren kann. Dabei ging Carpenter davon aus, daß es unmöglich gewesen sein dürfte, aus der Propontis durch diese Meerenge in das Schwarze Meer zu segeln, weil zumindest im Sommer, also der in der Antike bevorzugten Jahreszeit für Segelfahrten 292, der Wind ständig aus dem Norden geweht habe und somit ungünstig für ein Schiff, das in das Schwarze Meer gelangen will (Carpenter 1948, 1; Graham 1958, 27). Somit wäre die Verfügbarkeit von Schiffen, die gegen die Strömung im Bosporos gerudert werden konnten, Bedingung für eine regelmäßige Schifffahrt in das Schwarze Meer, und die zentralen Fragen wären, welcher Schiffstyp die dazu nötige Geschwindigkeit erreichen konnte bzw. wann dieser Schiffstyp eingeführt wurde.

Entscheidende Fortschritte bei der Erhöhung der Geschwindigkeit wurden durch die Einführung von "Langschiffen" mit mehreren Ruderreihen erzielt. Die Gründung von Kolonien und vor allem der anschließende Warenaustausch zwischen den Kolonien und den Mutterstädten erforderte aber den Einsatz von als "Rundschiffe" bezeichneten Handelsschiffen 293. Zwar waren diese Schiffe sicherlich auch mit einer kleinen Anzahl von Rudern ausgerüstet, gebrauchten diese aber nur zum manövrieren, während sie sich zu ihrer eigentlichen Fortbewegung lediglich der Segel bedienten (Köster 1923, 153.167). Im Gegensatz zu den vorwiegend militärisch genutzten "Langschiffen" unterlagen die Konstruktion und der Betrieb der für den Handel genutzten "Rundschiffe" vor allem wirtschaftlichen Erwägungen. Während für die Kriegsschiffe aus taktischen Gründen das Erreichen hoher Geschwindigkeiten, die von Windverhältnissen unabhängig sein mußten, unabdingbar war, haben die hohen Kosten für die dazu notwendigen Ruderer 294 und das zudem durch die damit größere Mannschaft verringerte Ladevolumen diese Antriebsart für Handelsschiffe sicherlich aus ökonomischen Gründen ausgeschlossen.

Aufmerksamkeit muß deshalb eine von Thukydides überlieferte Nachricht erregen, daß ein Handelsschiff bei gutem Wind von Abdera an der thrakischen Ägäisküste bis zur Donaumündung vier Tage und Nächte segelte (Thuk. II 97,2). B.W. Laberee konnte entgegen der bisher vorherrschenden Meinung nachweisen, daß auch während des Sommers an einer ausreichenden Anzahl von Tagen südliche Winde im Bosporos vorherrschen, womit es durchaus möglich war, ins Schwarze Meer zu segeln (Labaree 1957). Zudem ist, wenn eine andere Antriebsweise nicht möglich ist, das Ziehen eines Schiffes die einfachste Art, um eine Bewegung entgegen einer Strömung zu erzeugen. Daß diese Technik tatsächlich angewandt wurde, läßt sich auch durch Darstellungen auf neuassyrischen Reliefs belegen (De Graeve 1981, 151).

Somit können mit den Wind- und Strömungsverhältnissen im Bosporos zusammenhängende nautische Probleme nicht dazu benutzt werden, um einen terminus post quem für das erste griechische Eindringen in das Schwarze Meer zu definieren.


290 Bereits in der Ilias wird der Hellespont als reißender Strom beschrieben (Hom. Il. II 845).
291 Die Strömung wird durch das Abfließen der großen Wassermassen verursacht, die durch die Donau und die großen südrussischen Flüsse in das Schwarze Meer gelangen.
292 Die günstigste Zeit für die Seefahrt war nach Hesiod zwischen dem Zeitpunkt 50 Tage nach der Sommersonnenwende bis zum Ende des Sommers (Hes. erg. 630-634).
293 Geruderte Langschiffe standen kaum in ausreichender Menge zur Verfügung (vgl. Thuk. I 14).
294 Thukydides gibt den Sold der Ruderer während des Peloponnesischen Krieges mit einer Drachme pro Tag an (Thuk. VI 31,9).


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