6.1.1.2 Kallinos

Strabon gibt in dem Zusammenhang, in welchem er über die Eroberung Magnesias durch die Trerer berichtet, nicht an, aus welcher Quelle er diese Angabe geschöpft hat (vgl. Strab. XIV 1,40). Er zieht aber den Archilochos als Zeugen für das Unglück der Magneten heran, während Kallinos von Ephesos die Bewohner Magnesias noch als glückliche und im Krieg gegen Ephesos erfolgreiche Leute beschrieben haben soll. Aus diesen Angaben folgert Strabon, daß Kallinos früher schrieb als Archilochos (Strab. XIV 1,40; vgl. Clem. Alex. strom. I 131,8). Vermutlich übernahm Strabon diese Schlußfolgerung von Kallisthenes, der sich ebenfalls auf Kallinos berufen haben soll, als er über die Eroberungen von Sardes berichtete (Kallisth. bei Strab. XIII 4,8). Zum gleichen Schluß ist Clemens Alexandrinus gekommen (Clem. Alex. strom. I 131,8). In den Versen des Kallinos spiegeln sich "aktuelle" militärisch-politische Ereignisse wider, indem Kallinos mit ihnen seine Landsleute zur Verteidigung der Vaterstadt aufruft (vgl. Frg. 1 D). Die Bedrohungen, gegen die Kallinos hier zum Widerstand aufrufen mußte, sollen durch den Krieg gegen Ephesos und den Kimmeriereinfall bedingt gewesen sein (Latacz 1977, 12), was zu der allgemein anerkannten, wenn auch unpräzisen Datierung des Kallinos in das siebte vorchristliche Jahrhundert führte (Fränkel 1962, 170; Lyriker 1971, 7).

Im Gegensatz zu Archilochos finden sich bei Kallinos direkte Hinweise auf die Kimmerier, denn von diesem Elegiker ist folgende Bemerkung überliefert: "Jetzt aber rücken heran Kimmerier-Horden, die gottlos" (Frg. 3 D). Damit ist die Frage nach der zeitlichen Einordnung des Elegikers Kallinos aufs engste mit der Chronologie des Kimmeriereinfalls verknüpft (so bereits Kroll 1919, 1652). So datierte K. Neumann den Kallinos in das achte Jahrhundert v. Chr., weil Orosius in seinem aus dem fünften nachchristlichen Jahrhundert stammenden Geschichtswerk Historiae adversum paganos den gemeinsamen Einfall von Amazonen und Kimmeriern nach Asien für das dreißigste Jahr vor der Gründung Roms angab (Neumann 1855, 114). Ausgehend vom Zeitpunkt der Gründung der Stadt Rom in der sechsten Olympiade (vgl. Oros. hist. II 4,1), somit also zwischen 756 und 753 v. Chr., läßt sich für den angeblich 30 Jahre zuvor stattgefundenen Angriff der Amazonen und der Kimmerier (Oros. hist. I 21,1.2) ein Datum zwischen den Jahren 786 und 783 v. Chr. errechnen. Dieser zeitliche Ansatz findet jedoch keine Bestätigung durch andere Quellen.

Auch der Name "Trerer" war Kallinos bekannt, wie eine Textstelle im Lexikon des Stephanos von Byzanz belegt. Stephanos führt den Kallinos dafür an, daß dieser den Namen des thrakischen Volkes der "Treres" in der dreisilbigen Form "Trereas" benutzt habe (Steph. Byz. 634,3-5). Das durch Stephanos überlieferte Fragment " Trerer führt er an" (Kallinos Frg. 4 D) gibt leider nicht den Namen des Mannes an, der diese Trerer angeführt hatte. Zwar nennt Strabon als Befehlshaber von kimmerischen Kriegern, die bis Ionien vorgedrungen sein sollen, den Lygdamis, aber mit den Trerern verbindet er als Heerführer allein den Namen Kobos (Strab. I 3,21). Unklar bleibt aber, ob Kallinos die Trerer und die Kimmerier als zwei verschiedene Völker auffaßte 343, denn die Benutzung beider Namen muß nicht bedeuten, daß er diese Völker damit unterscheiden wollte. Vereinzelt wird aber ernsthaft behauptet, daß Trerer der eigentliche Name des Volkes war, das anschließend mit dem Namen der aus der Odyssee des Homer bekannten Kimmerier belegt wurde (U. Hölscher 1988, 154) 344. Zumindest muß angesichts der unklaren Namensverhältnisse die Möglichkeit erwogen werden, daß man aus der Ungleichheit der Völkernamen fälschlicherweise auf zwei verschiedene Kriegszüge geschlossen hat (vgl. Kroll 1919, 1652.1653).

Ebenso wie die zu Archilochos angestellten Überlegungen bieten auch die Erörterungen zur Person des Kallinos keine Möglichkeit einer sicheren chronologischen Einordnung von mit Kimmeriern verbundenen Ereignissen.


343 Aus Stephanos von Byzanz geht auch nicht eindeutig hervor, ob Kallinos die Trerer, wie es zumindest Stephanos tat, ebenfalls als thrakisches Volk bezeichnete (Steph. Byz. 634,3-5).
344 Bei Strabon findet sich die Bemerkung, daß die Kimmerier auch Trerer genannt worden seien (Strab. I 3,21). Er beklagt allerdings auch die widersprüchlichen Darstellungen in seinen Quellen, die keine scharfen Trennungen durch eindeutige Benennungen der Völker ermöglichen, und Strabon nennt in diesem Zusammenhang auch die Trerer und die Kimmerier (Strab. XII 8,7).


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