6.3 Strabon und die Kimmerier: Zwischenergebnisse

Den Angaben in den Geographika Strabons lassen sich mehrere chronologisch relevante Einzelheiten entnehmen, die deutlich im Gegensatz zur Überlieferung Herodots stehen. Dadurch, daß Strabon den Selbstmord des phrygischen Königs Midas durch das Trinken von Stierblut mit einem Einfall von Kimmeriern in Phrygien begründet, muß mit dem Auftreten von Kimmeriern in Kleinasien wesentlich früher gerechnet werden, als es die Berechnungen, die auf den Angaben Herodots beruhen, erwarten lassen. Während aus den Angaben des Herodot ein frühestes Auftreten von Kimmeriern und Skythen in Kleinasien nicht vor der Mitte des siebten Jahrhunderts v.Chr. abzuleiten ist, zwingt diese Mitteilung des Strabon dazu, eine Einordnung erster Aktivitäten von Kimmeriern in Anatolien bereits am Anfang des siebten vorchristlichen Jahrhunderts anzunehmen.

Herodot berichtet nur von einer Eroberung von Sardes durch Kimmerier. Strabon hingegen, der sich dabei mit Kallinos auf einen zeitgenössischen Zeugen berufen kann, kennt zwei Eroberungen der lydischen Hauptstadt. Der bereits nach unten korrigierte Ansatz für das erste Auftreten der Kimmerier erlaubt es, bereits für den Lyderkönig Gyges eine erste Einnahme von Sardes anzunehmen. Dessen Gleichsetzung mit dem in assyrischen Quellen genannten Gûgu von Luddi verspricht, zumindest den ersten erfolgreichen Vorstoß der Kimmerier nach Lydien absolutchronologisch einordnen zu können.

Strabon nennt, im Gegensatz zu Herodot, auch Heerführer kimmerischer Horden mit ihren Namen. Wenn Lygdamis, dem Strabon die erste Eroberung von Sardes und Streifzüge bis Ionien zuschreibt, identisch ist mit dem von Assurbanipal genannten König der Ummân-Manda Tugdammê, so bieten sich durch diese Identifizierung weitere Möglichkeiten, relativchronologisch gesicherte Geschichtsabläufe zumindest innerhalb bestimmter Rahmen absolut zu verankern.

Wichtig ist zudem, daß nur eine der beiden Eroberungen ausdrücklich den Kimmeriern zugeschrieben wurde, während die zweite von Trerern und Lykiern unternommen worden sein soll. Jedoch ergeben die widersprüchlichen Angaben zu den genannten Völkern und die ungemein verwirrenden Namensbezeichnungen - insbesondere der Kimmerier, der Skythen und der Thraker - Probleme, die Strabon zwar erkannte, aber mit dem ihm zur Verfügung stehenden Quellenmaterial nicht lösen konnte. Einige seiner Schlußfolgerungen stellen sogar eine deutliche Verschlechterung gegenüber den älteren Berichten dar 371. Allerdings gibt die heute eher noch mangelhaftere Quellenlage wenig Hoffnung, daß diese Fragen auf der Grundlage schriftlicher Quellen abschließend beantwortet werden können.


371 Strabons Beschreibung "nördlicher Völker" erweckt den Eindruck, daß Hyperboreer, Sauromaten und Arimaspen Anwohner des Schwarzen Meeres waren, die durch einen skythischen Vorstoß verdrängt wurden (Strab. XI 6,2), wobei H. Kothe dieser Darstellung kritiklos folgte (Kothe 1969, 15.16 Karte 1).


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel