7.1 Bemerkungen zu den "Stutenmelkern" und "Abiern" der Ilias

Bereits in der Ilias kann man einen Hinweis auf ein den Griechen nur vage bekanntes Reitervolk finden, von dem aber kein spezieller Name genannt wird. Die von Griechen gewählten Bezeichnungen "Hippomolgoi" und "Galaktophagoi" für diese nördlichen "Barbaren" leiten sich vielmehr von dem Umstand ab, daß das Pferd bei diesen Völkern das dominierende Haustier gewesen sein muß. Wenn man bedenkt, daß Pferde bei den Griechen archaischer Zeit nur luxuriöser Besitz der Herrenschicht waren (Richter 1968, 34) und das Trinken von Milch 373, zumal von Stutenmilch, eher ungewöhnlich war (Richter 1968, 50.51.70), kann diese Namensgebung nicht verwundern 374.

Der Göttervater Zeus schaut von den Trojanern und dem Kampfgeschehen fort nach Norden zu den Thrakern, dann zu den Mysern und schließlich zu dem Volk der "Hippomolgoi", den milchtrinkenden "Stutenmelkern", die in der Ilias in einem Atemzug mit den "Abioi", den "gerechtesten Erdbewohnern", genannt werden (Hom. Il. XIII 4-7). Die Bezeichnungen "Stutenmelker" und "Abier" sind hierbei sprachlich so eng miteinander verknüpft, daß gelegentlich die aufgezählten Tätigkeiten des Stutenmelkens und des Milchtrinkens auf eben diese Abier bezogen werden (so Romm 1992, 53), oder auf die Nennung der Abier sogar gänzlich verzichtet wird, weil dieser Name wohl als Synonym für "Stutenmelker" gilt (Voß 1980, 183).

Mit der Nennung der Abier unmittelbar anschließend an Thraker und Myser muß aber keine direkte Nachbarschaft verbunden sein, denn der Blick des Göttervaters reicht bis zu den Enden der Erde, und dort könnten demzufolge auch die Wohnsitze dieser "Abier" und ebenso der "Stutenmelker" liegen (Focke 1951, 579). Es kann damit also nicht bewiesen werden, ob die Griechen zur Zeit des Homer als direkte Nachbarn der Thraker an der Westküste des Schwarzen Meeres Pferde züchtende Stämme kannten. Auffällig ist zudem, daß in diesem Zusammenhang keine Einzelheiten über die geographischen Verhältnisse an der Küste des Pontos Euxeinos, an der diese Reiter leben sollten, genannt werden. In der Blütezeit des frühgriechischen Epos waren sicherlich sämtliche Küsten des Ägäischen Meeres bekannt, und ebenso der Zugang zum Schwarzen Meer (vgl. Hom. Il. II 845). Allerdings gibt die Dichtung auch keine Hinweise auf griechische Auswanderungen über See oder die Kolonisierung der Küsten Kleinasiens (vgl. Danov 1989, 224). Ebensowenig finden konkrete griechische Vorstellungen vom Pontos Euxeinos an irgendeiner Stelle Eingang in die homerischen Werke, was zu der Frage führen muß, ob Homer überhaupt Kenntnisse über die geographischen oder ethnographischen Verhältnisse an den Küsten des Schwarzen Meer besaß.


373 Das Trinken von Milch war, im Gegensatz zum allgemein üblichen Genuß von Wein und Wasser, Sinnbild frommer Seligkeit (vgl. Eur. Bakch. 704-710). Herodot begründet die Langlebigkeit der Aithiopier unter anderem mit ihrer aus Milch und gekochtem Fleisch bestehenden Nahrung (Hdt. III 23,1).
374 Zum Fortleben der Vorstellungen von den milchtrinkenden Nomaden bis in römische Zeit vgl. Shaw 1982/1983 und Batty 1994.


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