7.2.3 Odyssee und Argonautika

"Argonauten" wurden nach ihrem Schiff, der Argo, etwa 50 griechische Helden genannt 418, die auszogen, um dem Kolcherkönig Aietes ein Widderfell, das sogenannte "Goldene Vlies", zu rauben. Dieses erste "panhellenische" Unternehmen 419 vereinigte die Elite der griechischen Helden, wie es danach allein noch die "Kalydonische Eberjagd" oder der Trojanische Krieg tat. In der Antike wurde die Argonautenfahrt nach Kolchis durchweg als historische Tatsache angesehen (vgl. Hdt. VII 193), als gemeinsames hellenisches Vorhaben, welches das Schwarze Meer den Griechen öffnete. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß in der ältesten Überlieferung Aia, das Ziel dieser Fahrt der Argonauten, mit Kolchis noch nichts zu tun hatte (vgl. Haas 1978, 243).

In den Homer zugeschriebenen Werken finden sich mehrere Hinweise auf Ereignisse oder Personen, die mit der Fahrt der Argonauten unter ihrem Anführer Iason in Verbindung gebracht werden können (vgl. Hom. Il. VII 467-469; Hom. Od. X 135-137; XI 254-259). Einmal nennt Homer die Argo, das Schiff der Abenteurer, sogar namentlich (Hom. Od. XII 69-72). Weil die homerischen Epen die Geschichte von der Argo wiederholt zitieren, müßte diese infolgedessen älter als die homerischen Epen sein (so Delage 1930, 52). Außerdem finden sich auch bei Hesiod Anspielungen auf diese Fahrt des Iason, der von diesem Abenteuer Medea, die Tochter des Kolcherkönigs Aietes, als Gattin mitbrachte (Hes. theog. 992-1003). Die Geschichte von der Fahrt der Argonauten nach Aia war auch Herodot bekannt, der sie unter den Freveln aufzählt, die Hellenen an den Barbaren verübt hätten, allerdings ohne über den genauen Verlauf der Fahrt Auskunft zu geben. Sicherlich war für Herodot die Identifizierung dieses Aia mit Kolchis am Fluß Phasis eindeutig (Hdt. I 2,2), ebenso wie er die Symplegaden der Argonautensage klar mit den kyanischen Felsen am Bosporos gleichsetzt (Hdt. IV 85,1) 420.

Auf die Existenz zahlreicher, sich in ihrem Inhalt zum Teil stark unterscheidender Erzählungen über die Fahrt der Argonauten hat bereits Diodoros hingewiesen (Diod. IV 44,5.6; 56,1). Während in den zum Teil nur fragmentarisch erhaltenen Versionen des Epos weitgehend Einigkeit über die durch den Bosporos erfolgte Anreise besteht, differieren sie vor allem im auf der Rückreise gewählten Weg. Das älteste Zeugnis, das über diese Rückreise der Argo Genaueres berichtet, findet sich bei Hesiod (vgl. Radermacher 1938, 221). Hesiod zeigt uns die Rückfahrt der Argonauten von Kolchis geradezu als Weltreise, indem er sie über den Phasis in den die Erde umströmenden Okeanos gelangen läßt. Auf diesem Ringfluß erreichen die Argonauten dann den Südrand von Libyen, so daß sie ihr Schiff durch die Wüste tragen müssen, um wieder das Mittelmeer zu erreichen (Hes. Frg. 241 MW) 421. Daß die Argonauten nach Libyen gelangten, berichtet in seiner vierten pythischen Ode auch Pindar (Pind. Pyth. IV 43.44). Ebenfalls gibt er an, daß die Rückreise der Argonauten über den Okeanos und das Rote Meer erfolgte und daß die Argo zwölf Tage lang getragen werden mußte, um endlich wieder an das Mittelmeer zu gelangen (Pind. Pyth. IV 25.26.251). Somit scheinen die griechischen Vorstellungen vom Okeanos integraler Bestandteil zumindest der ältesten Argonautenepen gewesen zu sein, die aber sämtlich früh zugrundegegangen sind (vgl. Kern 1935, 6).

Aus dem dritten Jahrhundert v.Chr. stammen die Argonautika des Apollonios Rhodios, deren Bedeutung im wesentlichen darin besteht, daß sie die früheste vollständig erhaltene Erzählung über diese Fahrt des Iason liefern, in der versucht wurde, aus den sich in einigen Fällen heftig widersprechenden älteren Überlieferungen ein überzeugendes Ganzes zu schaffen.


418 Die Zahl der Helden spiegelt wahrscheinlich die Einführung eines neuen Schifftyps, des "Fünfzigruderer" wider (vgl. Plin. nat. VII 207).
419 Angaben des Clemens Alexandrinus zu mythologischen Ereignissen, deren Grundlagen allerdings nicht bekannt sind, erlauben es, für die Fahrt der Argonauten das Jahr 1282 v.Chr. zu errechnen (Clem. Alex. strom. I 137).
420 Diese Gleichsetzung findet sich ebenfalls bei weiteren antiken Autoren (so bei Pind. Pyth. IV 203; Strab. I 2,10; Amm. Marc. XXII 8,14).
421 Auch Hekataios soll die Fahrt der Argonauten über den Phasis in den Okeanos beschrieben haben. Dann seien sie aber über den gleichfalls mit dem Okeanos in Verbindung stehenden Nil zurück ins Mittelmeer gelangt (Schol. Apoll. Rhod. IV 257-262b).


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