7.2.3.1 Die Argonautika des Apollonios Rhodios

Apollonios Rhodios konnte in seiner Zeit als Leiter der Bibliothek von Alexandria auf weitgehend alle zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren Unterlagen zurückgreifen, und so entfaltet dieser alexandrinische Gelehrte in seinen in vier Bücher gegliederten Argonautika durch die getroffene Auswahl und Gruppierung der Episoden sicherlich das geographische Wissen seiner Zeit. Er zeigt dabei deutlich das Bemühen, die Fahrt der Argo als eine im Rahmen der damals angenommenen geographischen Verhältnisse durchaus mögliche Expedition erscheinen zu lassen (vgl. Stoessl 1941, 6). So gestaltet er die Hinreise auch in der Art einer antiken Küstenbeschreibung, eines sogenannten Periplus, entlang des Südufers des Schwarzen Meeres, während hingegen die Rückreise auf einer von den Argonauten zuvor nicht geplanten Fahrtroute durch die Donau ins westliche Mittelmeer erfolgt sein soll.

Apollonios stützt sich in seiner Erzählung oft auf homerische Beschreibungen, zumal dann, wenn er die Argonauten auf ihrer Reise Gebiete berühren läßt, die auch Odysseus bereist haben müßte (vgl. Pearson 1938, 444). So erwähnt er in seinen Argonautika auch einen Eingang zur Unterwelt, der aber an der Südküste des Schwarzen Meeres, im Land der Mariandyner liegt (Apoll. Rhod. II 351-353). Pomponius Mela berichtet, daß diese Mariandyner eine Stadt bewohnten, die einst von Herakles gegründet und nach diesem Herakleia genannt worden sei. Außerdem soll in der Nähe dieser Stadt die Acherusische Höhle gelegen haben, die zu den Geistern der Verstorbenen führen sollte und aus der Herakles der Sage nach den Kerberos, den Wachhund der Unterwelt, herausgezerrt hat (Mela I 103; Plin. nat. XXVII 4). In den Argonautika des Apollonios finden sich ebenfalls "ärmlichste Menschen" (Apoll. Rhod. II 374-376), so wie in der Odyssee Homers die Kimmerier als "elende Menschen" bezeichnet werden (Hom. Od. XI 19). Diese "ärmlichsten Menschen" identifiziert Apollonios aber als Chalyber, deren herausragendste Tätigkeit in der Herstellung eiserner Gerätschaften bestanden haben soll. Auch Aischylos läßt den Prometheus der in eine Kuh verhandelten Io einen Reiseweg beschreiben, der sie südlich des Kaukasus am Wohnsitz der als Eisenschmiede bezeichneten Chalyber vorbeiführen würde (Aischyl. Prom. 714-716). Pomponius Mela nennt Amisos und Sinope als berühmte Städte der Chalyber, sowie Halys und Thermodon als bekannte Flüsse (Mela I 105).

Es scheint, als habe Apollonios versucht, die ihm aus den literarischen Quellen bekannten ethnographischen Verhältnisse an der Südküste des Schwarzen Meeres mit dem Umstand zu vereinbaren, daß die Angaben der Odyssee den Eingang zur Unterwelt - zumindest, wenn man diese Irrfahrt im Schwarzen Meer annimmt - eben an dieser Küste lokalisieren. Da Kirke das Schiff des Odysseus mit dem Nordwind von Aia aus über das Meer segeln läßt (Hom. Od. X 507), müßte das Ziel dieser Fahrt also an der Südküste liegen. Es fällt aber auf, daß Apollonios keine Kimmerier in seine Erzählung zu integrieren sucht, sondern die den Kimmeriern zugeschriebenen Eigenschaften in den Beschreibungen der Mariandyner, die in der Nähe des Eingangs zur Unterwelt wohnen sollten, und der als "ärmlichste Menschen" bezeichneten Chalyber aufgehen läßt. Daraus darf man aber sicherlich nicht schließen, daß Apollonios keine Informationen über Kimmerier besaß, sondern vielmehr wird deutlich, daß er keine Möglichkeit sah, das ihm sicher aus dem Epos des Homer und dem Werk des Herodot bekannte Volk geographisch sinnvoll und "historisch" nachvollziehbar an der Reiseroute der Argonauten zu plazieren.

Die Rückkehr der Argonauten in das Mittelmeer erfolgte endlich über den Istros 422, wobei Apollonios berichtet, daß die Argo und die Schiffe der sie verfolgenden Kolcher unter den an den Ufern der Donau lebenden Nomaden eine Panik ausgelöst habe. Aus Angst hätten diese ihre Herden verlassen, denn weder "hatten ... die Skythen, die mit den Thrakern gemischt sind, je ein Meerschiff gesehen, und ebenso nicht die Sigynner" (Apoll. Rhod. IV 319.320). Hier reproduziert Apollonios die Beschreibung des Herodot, der im Gebiet südlich des Istros thrakische Geten (Hdt. IV 93), nördlich des Flusses Skythen (Hdt. IV 99,1.2) und ebenfalls nördlich des Istros, allerdings wohl flußaufwärts, Sigynner aufzählt (Hdt. V 9,1). Es wird deutlich, daß Apollonios die in seiner eigenen Zeit bekannten ethnographischen Verhältnisse in die mythische Zeit der Argonautenfahrt übertrug. Allerdings scheint dem Apollonios auch keine seiner Quellen in überzeugender Weise eine kimmerische Besiedlung an dieser Küste des Schwarzen Meeres erwähnt zu haben, sonst hätte er sicherlich versucht, durch die Erwähnung dieses Volkes die Authentizität seines Berichtes zu erhöhen.


422 Strabon berichtet, daß Hipparchos den Pontos Euxeinos über den Istros mit dem Adriatischen Meer verbunden glaubte (Strab. I 3,15), wobei diese Meinung auf Herodots Mitteilung zurückgehen könnte, daß die Donau ganz Europa durchfließen würde (Hdt. IV 49).


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