9.3.1.3 Zum Relief von Naqs-i-Rustam

Die jüngsten dem Dareios zugeschriebenen Inschriften befinden sich an seiner in Naqs-i-Rustam nahe bei Persepolis errichteten Grabanlage. Dort ist auf einem gut erhaltenen Relief der König auf seinem Thron dargestellt, unter dem auf zwei Ebenen insgesamt 30 Männer als Thronträger verteilt sind. Das Relief am Grab des Dareios wurde das Vorbild für die Grabanlagen sämtlicher späterer achämenidischer Herrscher. Neben einem Vertreter der Perser repräsentieren 29 weitere Träger die tributpflichtigen Völker, unter denen sich auch, wie zugehörige Beischriften eindeutig belegen, drei Saken befinden. Die obere Figurenreihe endet mit dem Vertreter der Saka haumavarga, die untere Reihe beginnt mit einem Repräsentanten der Saka tigrachauda 514. In der unteren Reihe steht außerdem an zehnter Stelle ein Vertreter der Saka tyaiy paradraya (Hermann 1933, 158 Abb. 1; Walser 1966, 34.35).

Sowohl die ethnische Identifizierung als auch die geographische Lokalisierung dieser verschiedenen Skythenstämme sind umstritten. In seiner das Stichwort "Sakai" behandelnden Abhandlung in "Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften" bezeichnete A. Herrmann die Erklärung des Namens der Saka tyaiy paradaya als am einfachsten, weil der Name sich eindeutig durch "Saken jenseits des Meeres" übersetzen ließe. Damit könnte sich dieser Name auf die aus persischer Sicht am jenseitigen Ufer des Schwarzen Meeres lebenden Skythen beziehen; jedoch mußte Herrmann selbst einwenden, daß Dareios diese europäischen Skythen nicht unterworfen habe (Herrmann 1920, 1779). Aus diesem Grunde schlug er vor, in den Saka tyaiy paradaya ein anderes "Nomadenvolk Europas" zu identifizieren, nämlich die Geten südlich der unteren Donau (Herrmann 1920, 1788). Dieser Vorschlag beruht im wesentlichen auf der Überlieferung des Herodot, der von der Unterwerfung aller thrakischen Stämme südlich der Donau berichtet (Hdt. IV 93; IV 118,1). A. Herrmann ging aber nicht darauf ein, daß Herodot diese im Gebiet südlich des Istros lebenden Geten nicht zu den Skythen, sondern zu den Thrakern zählt (Hdt. IV 93). Zudem ist in Naqs-i-Rustam unter den dargestellten Völkern ein weiterer "Neuzugang" zu vermelden: Unmittelbar neben dem Saka tyaiy paradaya ist ein Repräsentant der Skudra abgebildet, in denen in der Regel europäische Thraker identifiziert werden (Walser 1966, 35).

Zumindest die Übersetzung des Namens der Saka tigrachauda im Sinne von "spitze Hüte bzw. Helme tragend" ist allgemein anerkannt (Hermann 1920, 1779; Walser 1966, 35; Balcer 1972, 125). In diesen "Saken mit spitzen Hüten" werden gelegentlich die von Herodot als Massageten bezeichneten Reiternomaden identifiziert (Herrmann 1933, 163; vgl. Bengtson 1965, 16) 515, wohl wegen der aus der Anordnung ihres Namens innerhalb der Listen abgeleiteten östlichen Lokalisierung. Für den Fall, daß die Identifizierung der Saka tigrachauda als Massageten korrekt wäre, müßte aber für die Regierungszeit des Dareios ein Feldzug gegen diese Massageten angenommen werden. Eine Nachricht über diesen Feldzug soll sich auch in der antiken Überlieferung, die ansonsten zu diesem Teil der persischen Geschichte zu schweigen scheint, erhalten haben: Nämlich in der aus dem zweiten Jahrhundert n.Chr. stammenden "Stratigika" des Polyainos (Junge 1939, 65). Dieser berichtet von einem Krieg des Dareios gegen "dreifach geteilte Saken" (Polyain. Strat. VII 11) und davon, daß sich die drei Könige der Saken deswegen zur Beratung an einem "einsamen Ort" getroffen hätten (Polyain. Strat. VII 12). Allerdings läßt sich diese Nachricht des Polyainos über "dreifach geteilte Saken" nicht allein auf die persische, inschriftlich bezeugte Einteilung der Saken in drei Gruppen zurückführen, sondern sie könnte auch durch die herodotische Beschreibung des Skythenfeldzuges angeregt sein 516.

Nun berichtet der Nachtrag zur Bisutun-Inschrift vom Feldzug des Dareios gegen "Saken, die spitze Hüte tragen", der üblicherweise mit dem herodotischen Skythenfeldzug des Dareios gleichgesetzt wird. Der auf diesem Feldzug gefangene Sakenhäuptling Skunka ist auf dem Relief von Bisutun mit einer spitzen Mütze abgebildet, die häufig als "charakteristisch skythisch" bezeichnet wird (so auch von Walser 1966, 28). Somit könnten aber auch in den Saka tigrachauda "europäische" Skythen gesehen werden. Jedoch gelten für diese Identifizierung die gleichen Vorbehalte, wie sie bereits oben im Falle der Saka tyaiy paradaya geltend gemacht wurden.

Auffällig ist nämlich, daß einerseits Herodot selbst an keiner Stelle seines Werkes einen erfolgreichen persischen Feldzug zur Unterwerfung skythischer Stämme erwähnt. Andererseits zählt Herodot mehrfach Saken, nach seiner eigenen Aussage also Skythen, als Untertanen der Perser auf. So scheint auch der Name der von Herodot bei seiner Darstellung der Einteilung des persischen Reiches in Satrapien erwähnten Orthokorybantier, die er gemeinsam mit Teilen Mediens und den Parikaniern als Einwohner der zehnten Satrapie aufzählt (Hdt. III 92,1) 517, die griechische "Übersetzung" der persischen Bezeichnung tigrachauda zu sein (Junge 1942) 518. Saken wiederum erwähnt Herodot ausdrücklich in der fünfzehnten Satrapie (Hdt. III 93,5.6), in denen damit wohl die amyrgischen Saken erkannt werden müssen, von denen auch das Tragen von spitzen Hüten berichtet wird (Hdt. VII 64,2). Dieser Umstand veranlaßte schließlich G. Walser dazu, in den Orthokorybantiern und den amyrgischen Saken identische Stämme zu sehen, ohne allerdings detailliert auf deren Verteilung auf zwei verschiedene Satrapien durch Herodot einzugehen (Walser 1966, 42.43). In den amyrgischen Saken Herodots erkannte indes A. Herrmann die Saka haumavarga der achämenidischen Inschriften (Herrmann 1933, 159; vgl. Walser 1966, 39). Den Namen dieser Saka haumavarga übersetzte J.A.H. Potratz mit "die soma-kelternden Skythen", womit er die Benennung dieses Stammes von einer eventuell bei ihm gebräuchlichen Fabrikation eines alkoholischen Getränkes, des Soma bzw. altpersisch Haoma, ableitete (Potratz 1963, 20.21; vgl. Walser 1966, 35.37); die amyrgischen Saken wiederum bezeichnete Potratz als die "Saken jenseits des Meeres", wodurch er in ihnen die Saka tyaiy paradaya achämenidischer Inschriften identifizierte (Potratz 1963, 21).


514 G. Posener glaubte, in der Bezeichnung "Saka der Sümpfe und der Ebenen", die in der Völkerliste der Säule von Tel el Maskutah auftaucht, diese Unterscheidung zwischen den Saka haumavarga und den Saka tigrachauda wiedererkennen zu können (Posener 1936, 185). Die Erwähnung von Ebenen und Sümpfen läßt aber auch an die herodotische Beschreibung der am Fluß Araxes siedelnden Massageten denken. Die Massageten werden von Herodot als Bewohner einer weiten Ebene jenseits des Araxes beschrieben (Hdt. I 204), während vom Araxes berichtet wird, daß sich von den 40 Armen des Flusses bis auf einen alle in Sümpfen verlieren würden (Hdt. I 202).
515 Herodot berichtet zwar vom Feldzug des Kyros gegen die Massageten, aber dieser endet mit der Niederlage der Perser und dem Tod des Kyros (Hdt. I 204-214).
516 Auch Herodot berichtet von einer Gliederung der Skythen in drei Hauptabteilungen (Hdt. IV 120; vgl. IV 10). Und ebenso erzählt Herodot von einem Treffen der Skythen mit ihren Verbündeten, um über eine Reaktion auf das persische Vordringen in Skythien zu beraten (Hdt. IV 102).
517 Es bestehen aber berechtigte Zweifel, ob die von Herodot an dieser Stelle wiedergegebene Satrapienliste authentisch ist (vgl. Junge 1939, 44.45 Anm. 7; Armayor 1978b).
518 Auffällig ist jedoch, daß Herodot in diesem Zusammenhang weder auf die Namensgebung selbst näher eingeht, noch daß er eine Beziehung zwischen diesen Orthokorybantiern und den Saken bzw. den Skythen herstellt.


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