9.3.2 Saken und Gimirrai

Für die Behandlung der mit den Kimmeriern verbundenen Fragen ist nun aber von entscheidender Bedeutung, daß auf denjenigen achämenidischen Inschriften, die mehrsprachig abgefaßt sind, in der babylonischen Version jeweils dort, wo die altpersische Fassung die Benennung Saka verwendet, statt dessen Gimirri oder Gimirrai benutzt wurde (Herrmann 1920, 1778; Lehmann-Haupt 1921, 423; Pritchard 1950, 316). Infolgedessen scheinen die beiden Bezeichnungen "Saken" und "Gimirrai" in achämenidischer Zeit synonyme Bezeichnungen für die gleiche Völkergruppe in unterschiedlichen Sprachen gewesen zu sein.

Dieser synonyme Gebrauch der Benennungen Saka bzw. Skythen und Gimirrai läßt sich auch durch Erwähnungen von für die nomadischen Reiterkrieger als kennzeichnend angesehene Ausrüstungsgegenstände belegen. Denn während die Griechen die Merkmale des reflexen Kompositbogens durch Gebrauch der Bezeichnung "skythischer Bogen" anschaulich zusammenfaßten und dadurch unlösbar mit dem Namen der Skythen verknüpften, finden sich in babylonischen Schriftstücken oft Hinweise auf einen speziellen Bogentyp und auf besondere Pfeile, die man den Gimirrai zuschrieb. Zum Beispiel werden in einem aus dem Tempelarchiv von Eanna in Uruk stammenden Dokument, das durch die Nennung des fünfzehnten Regierungsjahres des Nabonid in das Jahr 541 v.Chr. datiert werden kann, außer gimirräischen Bögen auch gimirräische Pfeile erwähnt (Dougherty 1920, Taf. 81.82 Nr. 237; Dandamayev 1979, 99). Daß sich diese gimirräischen Bögen von den sonst üblichen deutlich unterschieden haben müssen, lassen die Angaben in einem weiteren Dokument aus Uruk vermuten, die klar zwischen akkadischen und gimirräischen Bögen unterscheiden (Pohl 1933, 35 Nr. 25; vgl. Salonen 1965, 42).

Neben dem Gebrauch des Bogens gehörte der intensive Umgang mit Pferden zu den speziell den Reiternomaden zugeschriebenen Tätigkeiten. Wenn im einundvierzigsten Jahr des Nebukadnezar II., also um 554 v.Chr., unter den einem babylonischen Aufseher von Pferdeställen zur Verfügung stehenden Gerätschaften auch spezielle "gimirräische Riemen" aufgezählt werden (Dougherty 1923, Taf. 48 Nr. 122; Dandamayev 1979, 98), so deutet dies auf die Übernahme von besonderen, den Gimirrai zugeschriebenen Pferdeschirrungsarten durch die babylonische Reiterei hin 521; daß diese "gimirräischen Riemen" auch im nicht-staatlichen Bereich Anwendung gefunden haben, läßt der Brief einer Privatperson vermuten, in dem um die Übersendung solcher "gimirräischer Riemen" 522 gebeten wird (vgl. Thompson 1906, 105; Ebeling 1949, 60-62 Nr. 105). Somit scheinen zumindest im babylonischen Bereich mit dem Namen der Gimirrai inhaltliche Bedeutungen verbunden gewesen zu sein, die von den Griechen normalerweise den Skythen zugewiesen wurden. A. Ivancik führte dies zu der Folgerung, daß von "einer kulturellen Ähnlichkeit der Kimmerier und der Skythen" ausgegangen werden müsse, da "beide offensichtlich ein und denselben für den Vorderen Orient neuen kulturellen und militärischen Typus darstellten" (Ivancik 1997, 14).

O. Szemerényi gelang es überzeugend darzulegen, daß für die iranischen Stämme der Steppenregion von Zentralasien bis zum Schwarzen Meer mit "Skuda" ein gemeinsamer Name in der Bedeutung "Bogenschütze" anzunehmen ist (Szemerényi 1951, 214; 1980, 39), wobei die Bezeichnung "Sake" zudem oft gleichbedeutend mit dem Begriff "Nomade" verwendet worden sei (Szemerényi 1980, 45). Der vielmalige synonyme Gebrauch der Termini "Skythen" und "Nomaden" in griechischen Schriften (vgl. dazu Hartog 1988, 193-206.319) scheint diese These zu untermauern. I.M. Diakonov rekonstruierte aus den engen Beziehungen zwischen den griechischen, assyrisch/babylonischen und persischen Benennungen für "Skythen" zwar ebenfalls einen ursprünglichen Namen *Skuda-t-, faßte diesen aber nicht als allgemeine Bezeichnung für alle nördlichen Nomadengruppen, sondern lediglich für eine bestimmte Gruppe auf (Diakonov 1985, 96). Allerdings ist es in diesem Zusammenhang vorerst unbedeutend, ob ursprünglich nur eine bestimmte Gruppe diesen Namen getragen hat. Es ist vielmehr wichtig, daß der Name von den schriftführenden Kulturen des Vorderen Orients auf alle Nomadengruppen übertragen wurde. Allerdings führte der Umstand, daß es sich bei diesen mit dem gemeinschaftlichen Namen "Saken" bezeichneten Gruppen um keine homogene ethnische Einheit handelte, zu Versuchen, diese Gruppen wiederum durch Beinamen zu unterscheiden.

Als aber beispielsweise W. Nagel davon ausging, daß der kimmerische Name in der Form Gimirri zwar stellvertretend für alle Reiternomaden zur Zeit assyrischer Herrschaft benutzt wurde, dann aber die Ersetzung des altpersischen Saka in den spätbabylonischen Übertragungen achämenidischer Inschriften durch Gimirri oder Gimirrai "realitätsfern" und "archaisierend" nannte (Nagel 1982, 34), so ignorierte er den Umstand, daß dieses Gimirrai im babylonischen Sprach- bzw. Schriftraum von assyrischer bis achämenidischer Zeit eine übliche Bezeichnung für Reiternomaden war (dazu schon Junge 1939, 7). Hierbei scheint zwar einerseits wichtig zu erwähnen, daß Untersuchungen der Reliefs bzw. Inschriften tragenden Flächen in Bisutun zu dem klaren Ergebnis führten, daß die altpersische Keilschrift erst in den Jahren nach 520 v.Chr. entwickelt worden sein kann (Luschey 1968, 90-92; Hinz 1968, 98), aber andererseits findet das altpersische Saka in den Inschriften der Achämeniden auch seine direkte Entsprechung in den jeweiligen elamischen Fassungen (Weißbach 1911, 12.13; Herzfeld 1938, 48.142).

Als dessenungeachtet sogar versuchte wurde, die Verwendung des "kimmerischen" Namens in "babylonischen Inschriften aus achämenidischer Zeit" als Hinweis auf die Anwesenheit "kimmerisch-thrakischer" Gruppen auf der Halbinsel Krim oder östlich des Kaspischen Meeres zu deuten (u.a. Lehmann-Haupt 1921, 423; Herrmann 1933, 163.164; 1941, 318), so beruhten diese Überlegungen letztendlich nur auf der hauptsächlich von Herodot und Strabon überlieferten konsequenten Trennung zwischen Kimmeriern und Skythen. J.M. Balcer äußerte darüber hinaus die Vermutung, daß Herodot in einigen Teilen seines Werkes den skythischen Namen durch den der Kimmerier ersetzt, indem er in Skythien von "kimmerischen Mauern", "kimmerischen Häfen", von einer "kimmerischen Landschaft" und vom "Kimmerischen Bosporos" spricht (Balcer 1972, 125.126).

Somit wären die Namen Saken bzw. Skythen und Kimmerier ursprünglich jeweils die allgemeinen Benennungen für Reiternomaden in unterschiedlichen Sprachen 523 gewesen. Erst ihre parallele Verwendung in der griechischsprachigen Literatur für einzelne Nomadengruppen scheint dazu geführt zu haben, daß diese Benennungen ihre späteren Bedeutungen erlangten.


521 Ob die "kimmerischen Schuhe", die ebenfalls in einer Inventarliste aufgeführt werden (Fales u. Postgate 1992, 131.132 Nr. 120), eventuell spezielle Reiterstiefel darstellen, muß Spekulation bleiben.
522 E. Ebeling übersetzte "gimmirû" direkt mit "kimmerisch" und "masak Til-li gi-mi-ru-tum" mit "kimmerische Wehrgehänge", ohne jedoch damit auf die Funktion dieser Gegenstände einzugehen (vgl. Ebeling 1953, 93.246).
523 So bedeuten auch das englische "Germany" und das französische "Allemagne" das gleiche, nämlich Deutschland. Es käme jedoch trotzdem kaum jemand auf die Idee, von "archaisierendem" Sprachgebrauch zu reden, wenn in mehrsprachigen Dokumenten alle drei Namen nebeneinander stehen, nur weil etwa die französische Bezeichnung auf die Benennung eines einzelnen germanischen Stamms zurückzuführen ist.


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