9.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

Die früheste Erwähnung der Benennung Gimirrai findet sich in Briefen des assyrischen Kronprinzen Sanherib an seinen Vater Sargon, in denen dieser den Herrscher über eine verheerende Niederlage des Königs Rusa von Urartu auf einem Feldzug ins Land Gamir und den anschließenden Einfall der siegreichen Gimirrai nach Urartu unterrichtete. Inhaltliche Verknüpfungen dieser Briefe mit Ereignissen, die im Zusammenhang mit dem achten Feldzug Sargons stehen, erlauben eine Datierung der in ihnen geschilderten Ereignisse in das Jahr 714 v.Chr. Auch wenn gemeinsame Aktionen von Assyrern und Gimirrai bzw. Vereinbarungen zwischen Assyrern und den Gimirrai über gemeinsame Angriffe auf Urartu oft als unwahrscheinlich angesehen werden, drängt sich durch den Umstand, daß sowohl der Vorstoß der Gimirrai als auch ein im Laufe des achten Feldzugs des Sargon erfolgter assyrischer Vorstoß nach Urartu von Manna aus stattgefunden haben sollen, geradezu der Schluß auf, ein gemeinschaftliches Unternehmen vorauszusetzen. Zudem läßt diese Rekonstruktion der Ereignisse vermuten, daß das Gamir genannte Siedlungsgebiet im mannäischen Bereich, also südlich von Urartu zu finden war. Die vorherrschende Meinung, daß dieses Gamir, von dem aus die Gimirrai operierten, nördlich von Urartu anzusiedeln sei, resultiert hierbei im wesentlichen aber aus der Behauptung Herodots, daß die Kimmerier aus nördlicher Richtung über den Kaukasus in den Vorderen Orient gekommen seien. Wenn in den Gimirrai der assyrischen Texte aber herodotische Kimmerier zu identifizieren sind, so wären diese mit der ersten Erwähnung im Jahr 714 v.Chr. deutlich früher südlich des Kaukasus nachzuweisen, als sich aus den Angaben des Herodot errechnen läßt.

Weil es aus der zwischen 705 bis 681 v.Chr. liegenden Regierungszeit Sanheribs keine assyrischen Zeugnisse gibt, die sich gesichert mit den Gimirrai verbinden lassen, muß jede Rekonstruktion von "kimmerischen" Aktivitäten im assyrischen Raum für diese Zeit reine Spekulation bleiben. Erst unter den Nachfolgern Sanheribs, Assarhaddon und Assurbanipal, machen assyrische Quellen wieder Angaben über Gimirrai, die nun mehrfach als Feinde Assyriens genannt werden.

In den assyrischen Annalen finden sich Berichte über eine Niederlage des Teuspâ, der als Gimirrai und Ummân-Manda bezeichnet wird, gegen assyrische Truppen im Gebiet des Landes Hubusna. Während die Datierung dieses Ereignisses in das Jahr 679 v.Chr. sicher scheint, muß sowohl die Lokalisierung des Ortes dieser Niederlage als auch die Deutung des Namens des "kimmerischen" Anführers als unsicher gelten. Auch die Benennung "Ummân-Manda", mit der Teuspâ ebenfalls bezeichnet wird, kann weder zu einer ethnischen noch zu einer geographischen Einordnung der Gimirrai beitragen, weil dieser Ausdruck eine allgemeine Bezeichnung für nomadisierende Stämme war, die in der Folgezeit von den Babyloniern selbst auf die Meder übertragen wurde.

Weitere Nennungen des Namens Gimirrai finden sich in Anfragen Assarhaddons an den Sonnengott Samas, wobei diese Anfragen oft um Auskunft bitten, ob bestimmte assyrische Festungen von dem Kastarit genannten "Stadtherrn" von Karkassi, von Gimirrai, Medern, Mannäern oder anderen Kriegern erobert werden würden. Diese Orakelanfragen belegen die Anwesenheit von Gimirrai im assyrisch-mannäischen Gebiet während der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts v.Chr., während der Ort der Niederlage des Teuspâ häufig im östlichen Kleinasien gesucht wird.

In die von 669 bis 627 v.Chr. dauernde Regierungszeit des Assurbanipal fallen Ereignisse, die auch in griechischen Quellen Erwähnung finden. Assyrische Quellen, die vom Abfall Ägyptens von der assyrischen Oberherrschaft berichten, erlauben es, eine Verbindung zwischen dem Anführer der ägyptischen Revolte, Psammetichos, und Gyges, dem ersten Mermnaden auf dem lydischen Thron, herzustellen. Diese Berichte geben zudem Auskunft über Auseinandersetzungen des in diesen Dokumenten Gûgu von Luddi genannten Gyges mit Gimirrai, die letztlich zum Tod des Gûgu geführt haben sollen. Der erste Vorstoß von Gimirrai in Richtung Lydien hat spätestens im Jahr 652 v.Chr. stattgefunden, wobei die Bedrohung Lydiens durch diese Gimirrai bereits um 660 v.Chr. zu verspüren gewesen sein muß, wenn diese Gefahr der Grund für die in den assyrischen Quellen verzeichnete lydische Gesandtschaft an Assurbanipal gewesen sein soll. Auch unter dem Nachfolger des Gûgu muß die Bedrohung Lydiens durch die Gimirrai weiter bestanden haben, wie aus der erneuten Ergebenheitsadresse des Nachfolgers des Gûgu geschlossen werden kann. Dabei kann als gesichert gelten, daß die Gimirrai als Gegner Assyriens angesehen werden müssen.

Das jüngste mit Gimirrai in Verbindung zu bringende Dokument assyrischen Ursprungs berichtet von der Vernichtung eines Dugdammê genannten Anführers von Ummân-Manda. Während sich dieses Ereignis mit der Einordnung an das Ende der Regierung Assurbanipals zumindest grob datieren läßt, muß die Gleichsetzung des Dugdammê mit dem Lygdamis, von dem Strabon im Zusammenhang mit kimmerischen Streifzügen berichtet, als unsicher gelten. Indem das weitere Schicksal Sandaksatrus, des Nachfolgers des Dugdammê, ebenfalls unbekannt ist, müssen alle Versuche, mit dessen Verbleib auch das der mit den Ummân-Manda gleichgesetzten Kimmerier klären zu wollen, als Spekulation betrachtet werden.

Es gibt keine Hinweise, die auf den Verbleib der Gimirrai in der Zeit des Perserreiches hindeuten. Der Umstand, daß mehrsprachig abgefaßte achämenidische Inschriften in der babylonischen Version jeweils dort, wo die altpersische Fassung die Benennung Saka verwendet, statt dessen Gimirri bzw. Gimirrai wiedergeben, zwingt hingegen sogar zu dem Schluß, daß die beiden Bezeichnungen "Saken" und "Gimirrai" zumindest in achämenidischer Zeit synonyme Ausdrücke für dieselbe Völkergruppe in unterschiedlichen Sprachen gewesen sind. Indem also Saken im Babylonischen als Gimirrai bezeichnet wurden und Saken im griechischen Sprachraum mit dem Namen Skythen bezeichnet werden, muß es als geradezu unmöglich gelten, aus der Verwendung des Namens Gimirrai eindeutig auf Kimmerier schließen zu können, insofern der Kontext diesen Schluß nicht eindeutig bestätigt.


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