4.1.2.1 Die Eroberung von Sardes während der Herrschaft des Ardys

Herodot teilt zwar nicht mit, in welches Jahr der insgesamt neunundvierzigjährigen Herrschaftszeit des Ardys die Einnahme der lydischen Hauptstadt gefallen ist, ausdrücklich aber sagt er, daß die Kimmerier nach Asien kamen, während Ardys über Sardes herrschte (Hdt. I 15). Die ebenfalls erwähnte Eroberung von Priene oder der Feldzug gegen Milet unter Ardys können nicht zur genaueren zeitlichen Bestimmung des Kimmerierüberfalls benutzt werden, weil es den Angaben Herodots nicht zu entnehmen ist, ob diese Kriege vor oder nach der Einnahme von Sardes durch die Kimmerier stattfanden. Zwar erscheint das siebte Jahr der Regierung des Ardys bei den spätgriechischen Chronographen als Epochenjahr für die griechische Literaturgeschichte, aber daß es diese Bedeutung durch die von vielen griechischen Dichtern erwähnte Eroberung von Sardes erlangt hat, ist nur erschlossen (vgl. Rohde 1878, 200; Fritz 1967, 378). Das siebte Jahr des Ardys als das Datum für die kimmerische Invasion Lydiens ist eher eine moderne Folgerung, wobei es keinen Hinweis gibt, daß jemals eine alte Autorität bereits genau diese Beziehung hergestellt hat (Mosshammer 1979, 223). Es ist also unwahrscheinlich, daß eine mündliche antike Tradition den kimmerischen Angriff genauer datieren konnte, als es Herodot tat 85: während der Herrschaft des Ardys.

Somit kann zunächst nur der Versuch unternommen werden, aus den Angaben des Herodot heraus die Regierungszeit des Ardys genauer zu bestimmen. Aus den herodotischen Daten läßt sich ableiten, daß das letzte Regierungsjahr dieses Königs 84 Jahre vor der Eroberung der lydischen Hauptstadt durch den Mederkönig Kyros lag, womit dieses Ereignis als Endpunkt der lydischen Geschichte zugleich Anfangspunkt einer Berechnung bilden kann (Boer 1967, 54). Angesichts der Tatsache, daß Herodot selbst dieses Jahr nicht genauer bestimmt, bleibt zu fragen, ob er wirklich nicht gewußt hat, in welches der 29 Regierungsjahre des Kyros die persische Eroberung von Sardes zu setzen ist 86, zumal die recht genaue Bestimmung durch einige antike Chronographen in das dritte Jahr der achtundfünfzigsten Olympiade auffällt (Apollod. bei Diog. Laert. I 38; Eus. chron. ao. Abr. 1470 = Ol. 58,3) 87.

Die Datierung der Eroberung von Sardes ins Jahr 546 v.Chr. wird bestätigt durch eine Information in der sogenannten Babylonischen Chronik. Für das neunte Jahr des Nabonid vermeldet diese Chronik einen Feldzug des Persers Kyros, der gegen einen Gegner westlich des Tigris gerichtet war und in dem zumeist Kroisos identifiziert wird (Lehmann-Haupt 1920b, 113; Kaletsch 1958, 43) 88.

Vom Jahr 546 v.Chr. für die Eroberung von Sardes und damit dem Ende der Herrschaft des Kroisos ausgehend kann durch Addition der von Herodot angegebenen Regierungszeiten 89 für die lydischen Könige bis Gyges zum Anfang der Mermnadenherrschaft "hochgerechnet" werden.

Herrscher

Regierungsdauer

Zitat

Errechnete Regierungszeit

 

Gyges

38 Jahre

I 14

715-678 v.Chr.

170
Jahre
von
Gyges zu
Kroisos

Ardys

49 Jahre

I 16

677-629 v.Chr.

Sadyattes

12 Jahre

I 16

628-617 v.Chr.

Alyattes

57 Jahre

I 25

616-560 v.Chr.

Kroisos

14 Jahre

I 86

559-546 v.Chr.

Tab. 2: Ausgehend vom Jahr 546 v.Chr. für die Einnahme von Sardes durch Kyros nach den Angaben des Herodot errechnete Regierungszeiten lydischer Könige.

Setzt man dieses außer-herodotische Datum in unsere Gleichung ein, so ergibt eine Berechnung der Chronologie der lydischen Könige nach den Angaben des Herodot eine zwischen 677 und 629 v.Chr. liegende Regierungszeit des Ardys (vgl. Tab. 2). Wenn man diese Jahre 677 bzw. 629 v.Chr. nun als äußerste zeitliche Begrenzung des Kimmeriersturms akzeptiert, so könnte sich durch weitere Aussagen des Herodot die Möglichkeit bieten, diesen Zeitraum weiter einzuengen 90. H. Strasburger machte auf die Möglichkeit aufmerksam, durch die gemeinsame Erwähnung des Einfalls der Kimmerier in Kleinasien und der sie verfolgenden Skythen unter Madyas in Medien folgende Personen miteinander zu synchronisieren: den Lyder Ardys (Hdt. I 15), den Meder Kyaxares (Hdt. I 103) und den Ägypter Psammetichos (Hdt. I 105,1) (Strasburger 1956, 138). Die Regierungszeit von 677 bis 629 v.Chr. für Ardys und die von Strasburger angegebenen Amtszeiten 670 bis 617 v.Chr. für Psammetichos 91 und 633 bis 593 v.Chr. für Kyaxares 92 ergeben eine Überschneidung nur zwischen 633 und 629 v.Chr., womit das Datum des Kimmerier- und Skytheneinfalls auf eine vier Jahre lange Zeitdauer eingeengt scheint. Da Herodot die Kimmerier aber stets zusammen mit den Skythen nennt, er diese jedoch erst für die Zeit des Kyaxares und des Alyattes in Asien vorsieht, scheint es auch nur konsequent, wenn der Feldzug der Kimmerier gegen Sardes erst am Ausklang der Regierungszeit des Ardys stattfand (Kaletsch 1958, 25). Eine "historische Beglaubigung" des sich aus diesem Synchronisationsschema ergebenden Zeitpunktes zwischen 633 und 629 v.Chr. durch Hinweise auf einen Skytheneinfall in Syrien und Palästina anhand von Anspielungen auf erobernde Nordvölker bei den Propheten Jeremia und Zephania (Strasburger 1956, 144.145; Fritz 1967, 383.384) muß jedoch zumindest in Zweifel gezogen werden 93.

Herodots Angaben zur lydischen Geschichte, kombiniert mit herodotischen Daten zur medischen und ägyptischen Chronologie, erlauben nicht nur, sondern erzwingen geradezu eine Einordnung der kimmerischen Eroberung von Sardes in eine Zeit nicht vor dem letztem Drittel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts. Eine kimmerische Präsenz in Kleinasien schon zur Zeit des Gyges oder gar bereits im späten achten Jahrhundert v.Chr. läßt sich aus den Aussagen des Herodot nicht herauslesen.


85 Betrachtet man das Bemühen des Herodot, die Regierungszeiten der lydischen und medischen Könige in Jahren genau anzugeben, so ist es kaum zu glauben, daß ein ihm bekanntes, derart wichtiges Datum wie die Eroberung von Sardes durch die Kimmerier von Herodot unerwähnt geblieben wäre. Es muß also angenommen werden, daß zur Zeit Herodots weder in mündlicher Überlieferung noch in anderen ihm zur Verfügung stehenden Quellen ein genaueres Datum zu finden war.
86 Herodot hatte sicherlich die Absicht, die lydischen, medischen und persischen Königsreihen das Rückgrat für eine Chronologie der griechischen Geschichte bilden zu lassen. Somit entstand aber gerade an einer wichtigen Anschlußstelle zwischen den Dynastien ein Unsicherheitsfaktor (vgl. auch Kap. "4.2.2.3 Zum Zeitpunkt des Wechsels der Herrschaft von den Medern zu den Persern").
87 Dabei liegt sogar die Vermutung nahe, daß viele der Zeitansätze antiker Chronographen auf einer detaillierten Analyse der Angaben des Herodot beruhten.
88 Auch in der von A.K. Grayson vorgelegten Sammlung babylonischer Chroniken ist die entscheidende, aber unglücklicherweise verderbte Stelle, die den Gegner des Kyros angibt, zu "Luuddi" ergänzt (Grayson 1975, 107). Diese Ergänzung ist jedoch nicht unumstritten (vgl. dazu Cargill 1977; Fehling 1985, 134-136; Rollinger 1993, 188-197). Ohne Bedeutung ist jedoch der Einwand D. Fehlings, daß der Text der Chronik Nabonid überhaupt nicht zu Lydien passen würde, weil es unwahrscheinlich sei, daß Kyros das "ferne Lydien" angriffen habe und "ein viel näheres Land gemeint sein muß" (Fehling 1985, 135). Herodot berichtet nämlich, daß Kroisos den Kyros angegriffen habe und dieser nur dem Lyder entgegengezogen sei (Hdt. I 76). Zudem berichtet Herodot nicht von einem Angriff des Lyders auf das persische Kernland, sondern davon, daß Kroisos Kappadokien, das Herodot wohl zum persischen Einflußbereich rechnet, erobern wollte, um sein Reich zu vergrößern und um an dem Perser Kyros Rache zu nehmen (Hdt. I 73).
89 Dabei soll, zumal Herodot außer von zwei sich zu insgesamt acht Jahren ergänzenden Ausnahmen bei persischen Königen nur ganze Jahre überliefert (Hdt. III 66,2; III 67,2), zur Vereinfachung davon ausgegangen werden, daß die "Regierungswechsel" immer zum Jahreswechsel stattfanden. Das entspricht im übrigen auch der altorientalischen Praxis, erst ab dem ersten ganzen Jahr den neuen Herrscher zu rechnen. Zu beachten ist jedoch auch, daß von Herodot abzuleitende Jahreswechsel sich nicht auf den ersten Januar moderner Zeitrechnung als Jahresbeginn beziehen, sondern den entsprechenden antiken Kalenderrechnungen folgen.
90 Daß diese Möglichkeit Herodot selbst nicht bewußt gewesen sein kann, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß die Regierungszeit des Ardys durch "fremde" Daten gewonnen wurde.
91 Ausgehend vom Jahr 525 v.Chr. für das Endjahr der einjährigen Regierungszeit des Psammenitos (Hdt. III 14) ergibt sich über Amasis mit 44 Jahren (Hdt. III 10), Apris mit 25 Jahren (Hdt. II 161), Psammis mit sechs Jahren (Hdt. II 161), Nekos mit 16 Jahren (Hdt. II 159) und schließlich Psammetichos mit 44 Jahren (Hdt. II 157) für den Psammetichos eine Regierungszeit von 670 bis 617 v.Chr.
92 Die Behandlung der medischen Geschichte Herodots wird zeigen, daß die Bestimmung der Regierungszeiten der medischen Könige ebenso umstritten ist wie die der lydischen Herrscher. Zentrales Standbein aller Berechnungen dieser Regierungsdaten ist der Zeitpunkt des Wechsels der Herrschaft zwischen Medern und Persern - also von Astyages zu Kyros -, von dem aus dann mit Zahlen Herodots "hochgerechnet" wird. Freilich ist eine Bestimmung dieses Zeitpunktes nur mittels "externer" Daten möglich. Vgl. Fußnote 86.
93 Siehe dazu die entsprechenden Untersuchungen zur biblischen Überlieferung ab Kap. "8 Untersuchungen zur Überlieferung des Alten Testaments".


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