4.4.2.2 Skythen und Saken

Die Beschreibung Skythiens und der Skythen nimmt in der Erzählung Herodots einen umfangreichen Platz ein. Er bezeichnet alle am Pontos Euxeinos wohnenden Völker als "unwissend" und nimmt davon nur die Skythen aus (Hdt. IV 46,1). Allerdings kann Herodot bloß eine Fähigkeit der Skythen nennen, die ihm "Bewunderung" abringt: Keiner, den sie verfolgen, könne ihnen entkommen 251, und keiner, der sie verfolge, könne sie einholen (Hdt. IV 46,2; vgl. IV 97,4-6). Diese besondere Fähigkeit rühre von der nomadischen Lebensweise der Skythen her, weshalb diese Nomaden weder Städte noch Burgen bauen würden, sondern auf Wagen wohnten und somit ihre Häuser immer mit sich führten. Zudem lebten sie - anstatt Ackerbau zu treiben - von der Viehzucht, und ihre Kampfesweise bestünde aus dem Abschießen von Pfeilen vom Pferde herab, weshalb er sie auch "Pferdebogner" oder "berittene Bogenschützen" nennt (Hdt. IV 46,3).

Herodot liefert in seinem vierten Buch viele Angaben über die skythische Götterwelt (Hdt. IV 59), über skythische Opfersitten (Hdt. IV 60-63) und für die Hellenen besonders fremdartigen Kriegssitten wie das Skalpieren besiegter Feinde (Hdt. IV 64.65). Seine Beschreibungen der skythischen Bestattungssitten nehmen in seiner Erzählung ebenfalls einen breiten Raum ein (Hdt. IV 71-73). Aber an keiner Stelle seines Werkes gibt Herodot eine zusammenhängende Schilderung des Aussehens der Skythen, etwa körperlicher Eigenschaften, ihrer Kleidung oder ihrer Bewaffnung 252. Allerdings liefert der Bericht über den Feldzug des Xerxes gegen Griechenland dem Herodot anläßlich der Aufzählung der persischen Heeresmacht die Gelegenheit, die Ausrüstung von Saken, die er als "skythischen Volksstamm" bezeichnet, zu beschreiben (Hdt. VII 64,2). Diese Saken trugen auf dem Kopf steife, spitz in die Höhe laufende Tiaren; ansonsten aber erregten nur die für einen Griechen ungewohnten Hosen die Aufmerksamkeit des Herodot. Die Bewaffnung dieser Saken bestand aus Bogen 253, Schwert und Streitaxt. Herodot berichtet allerdings, daß dieser Skythenstamm "amyrgische Saken" genannt wurde, weil die Perser alle Skythen 254 als "Saken" bezeichnet hätten. Diese Bemerkung ist deshalb auffallend, weil Herodot "amyrgische Saken" an keiner weiteren Stelle seiner Historien erwähnt. Im Lexikon des Stephanos von Byzanz findet sich allerdings zum Stichwort "Amyrgion" der Vermerk, daß Hellanikos in seiner "Skythika" Amyrgion als "Ebene der Saken" bezeichnet habe (Steph. Byz. 88,8.9). Und der Name eines von Ktesias erwähnten Sakenkönigs "Amorges" klingt ebenfalls an die Benennung der "Amyrgioi" an: Dieser Amorges wird zum einen als Verbündeter des Kyros während des persischen Feldzuges gegen die Lyder genannt (FGrHist 688 F 9,3.4), zum anderen eilt dieser Sakenkönig dem Kyros während einer Expedition gegen die Derbiker zur Hilfe, was diesem zwar die Schlacht, aber nicht das Leben gerettet haben soll (FGrHist 688 F 9,7).

 
  Abb. 22a: Skythischer Reiter des 4. Jh. v.Chr. Abb. 22b: Skythe des 5. Jh. v.Chr.  
 

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Abb. 22: Skythischer Reiter des 4. Jh. v.Chr. (nach verschiedenen Befunden) und Skythe des 5. Jh. v.Chr. (nach dem Befund von Gladkovscina im Gebiet von Cerkassy (nach Cernenko 1991, 133 Abb. 2.3).

Herodot teilt anläßlich seines Berichtes über die persische Heerschau im Vorfeld des Griechenlandfeldzuges des Xerxes mit, daß viele Völkerschaften des Achämenidenreiches auch zu Pferde kämpfen würden (Hdt. VII 84,1). In der an diese Bemerkung anschließenden Aufzählung der Stämme, welche die Reiterei des Heeres stellten (Hdt. VII 84-86), vermißt man allerdings den Namen der Saken. Eine weitere Behauptung des Herodot, daß nur die zuvor von ihm genannten Stämme die Reiterei gebildet hätten (Hdt. VII 87,1), scheint aber die Möglichkeit, daß Herodot die Saken an dieser Stelle lediglich "vergessen" haben könnte, auszuschließen. Wenn Herodot ferner berichtet, daß auf allen Schiffen der Expeditionsflotte zusätzlich zu den regulären Besatzungen auch Perser, Meder und Saken eingesetzt wurden (Hdt. VII 96,1), so deutet dies - ebenso wie die Plazierung von Saken neben den Persern im Zentrum der persischen Schlachtreihe in Marathon 255 (Hdt. VI 113,1) - darauf hin, daß Saken zu den Eliteeinheiten der achämenidischen Heere gehörten. Aber dies scheint auch dafür zu sprechen, daß diesen Saken im wesentlichen die Aufgabe der Bogenschützen zu Fuß zugewiesen wurde 256. Es stellt sich demzufolge die Frage, ob die von Herodot behauptete Gleichsetzung der Saken mit den Skythen, denen er doch das Abschießen von Pfeilen vom Pferde herab nachsagt (Hdt. IV 46,3), als tatsächliche Identität aufgefaßt werden darf.

So nennt etwa auch Arrianus Saken, einen skythischen Stamm, als "Bundesgenossen" des baktrischen Satrapen, die dem persischen Großkönig Dareios bei Gaugamela gegen den Makedonen Alexander zur Hilfe eilen; zugleich bezeichnet er diese Saken als "asiatische Skythen" und als "Pferdebogner", was sie als berittene Bogenschützen auszeichnet (Arr. anab. III 8,3.4). Diese Saken werden von Arrianus bei der Beschreibung der persischen Schlachtordnung von Gaugamela auf dem rechten Flügel aufgezählt (Arr. anab. III 11,4). Unklar ist in diesem Fall allerdings, wen Arrianus mit der "skythischen Reiterei" bezeichnet, die er neben den baktrischen Reitern und Sichelwagen als vor dem linken Flügel des persischen Heeres plaziert angibt (Arr. anab. III 11,6). Die Beschreibung des Schlachtverlaufes durch Arrianus macht deutlich, daß es sich bei diesen nicht um leichtbewaffnete Bogenschützen gehandelt hat, weil er die besonderen Erfolge dieser Einheit auf die Panzerungen von Pferden und Reitern zurückführt (Arr. anab. III 13,4). Auffälligerweise erwähnt Curtius Rufus anläßlich seiner Beschreibung der Schlachtordnung von Gaugamela keine Skythen als Teilnehmer der Schlacht, berichtet aber von Massageten auf dem linken persischen Flügel (Curt. IV 12,7). Vergleicht man die durch Curtius bzw. Arrianus überlieferten Beschreibungen des Schlachtverlaufes miteinander, so muß man unweigerlich zum Schluß kommen, daß die "Massagetas equites" des Curtius mit der "skythischen Reiterei" des Arrianus identisch waren (Curt. IV 15,2; Arr. anab. III 13,4).

Die Unfähigkeit der Griechen, die Nomadengruppen eindeutig unterscheiden und auch klar benennen zu können, spiegelt sich auch in der Äußerung des Herodot, daß, "was die Hellenen von den Skythen erzählen, ... nicht Sitte der Skythen, sondern vielmehr der Massageten" sei (Hdt. I 216,1). Eine Erklärung für die bei der Unterscheidung der nomadischen Fremdvölker auftretenden Schwierigkeiten bietet eventuell die Feststellung des Herodot, daß "die Massageten ... ähnliche Kleidung wie die Skythen [tragen] und ... auch eine ähnliche Lebensweise [haben]" (Hdt. I 215,1).

Die Ähnlichkeiten, die Herodot zwischen der Lebensweise und dem Äußeren von Massageten und Skythen feststellte, finden deutliche Parallelen in der Beschreibung der Sauromaten in einem dem Hippokrates zugeschriebenen Werk. Hippokrates soll in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts v.Chr. - ebenso wie Herodot - mehrere Reisen unternommen und neben den östlichen Mittelmeerländern vor allem die pontischen Küstenstriche besucht haben, um dort für seine theoretischen Überlegungen Anschauungs- und Belegmaterial zu gewinnen (vgl. Müller 1972, 138). Aber die in der hippokratischen Schrift "Über Winde, Wasser und Ortslagen" 257 aufgestellte Behauptung, daß die Sauromaten ein "skythisches Volk" gewesen seien (Hippokr. aër. XVII 1-5) 258, läßt sich nur teilweise mit der Feststellung Herodots zur Deckung bringen, daß die Sauromaten ein aus der Vereinigung von Skythen und Amazonen hervorgegangenes Volk seien (Hdt. IV 110-117). Allerdings weist die dem Hippokrates zugeschriebene Beschreibung der sauromatischen Lebensweise deutliche Parallelen zu der herodotischen Erzählung auf 259, wobei jedoch die hippokratische Beschreibung der Sauromaten die von Herodot den Skythen und den Sauromaten getrennt zugeschriebenen Eigenarten in diesem Volk vereint.

Die Schwierigkeiten, die sich bei der Differenzierung von sich in ihrem Äußeren und ihrem Verhalten kaum unterscheidenden Gruppen ergeben, sind evident. Letzten Endes läßt jedoch eine scheinbar inkonsequente Verwendung der Namen "Saken" bzw. "Skythen" ernsthafte Zweifel aufkommen, ob diese wirklich vollständig deckungsgleiche Bezeichnungen aus der persischen bzw. griechischen Sprache für ein und dasselbe Volk waren: Herodots Schilderung eines angeblich im Vorfeld des Griechenlandfeldzuges des Xerxes abgehaltenen Kriegsrates läßt den Mardonios auf die bereits unterworfenen Völker verweisen, unter denen dieser neben den Indern, Aithiopiern und Assyrern auch die Saken aufzählt (Hdt. VII 9,2), während der Artabanos in seiner sich direkt anschließenden Erwiderung auf das Mißlingen des Feldzuges gegen die Skythen hingewiesen haben soll (Hdt. VII 10,2). Unabhängig davon, welcher Quelle Herodot diese Geschichte entnommen haben mag - wenn er sie nicht selbst erfunden hat -, macht dieser differenzierende Gebrauch der Namen "Saken" bzw. "Skythen" deutlich, daß diese zuweilen unterschiedliche Gruppen bezeichnen konnten.


251 Allerdings weiß Herodot - aber ohne es an dieser Stelle zu erwähnen - zumindest von zwei Fällen zu berichten, bei denen Skythen eine "Verfolgung" mißglückte: So sollen die Skythen dem abrückenden Heer des Dareios zwar gefolgt sein, aber weil sie - anders als die Perser - alle beritten waren und den kürzesten Weg kannten, vor diesem den Istros erreicht haben (Hdt. IV 136; vgl. IV 142). Ebenso mißlang die "Verfolgung" der "flüchtenden" Kimmerier, weil die Skythen einen anderen Weg gewählt haben sollen (Hdt. IV 12).
252 Daß Pfeil und Bogen, Schwert, Dolch, Streitaxt und Speer zur Bewaffnung der Skythen gehörten, teilt Herodot nur anläßlich einer Beschreibung mit, die den Abschluß eines skythischen Freundschaftbundes wiedergibt (Hdt. IV 70).
253 Herodot gibt zwar an, daß diese Saken besondere Bögen führten, geht aber auf deren Eigenheit nicht näher ein.
254 Vgl. dazu auch Fußnote 180.
255 Herodot gibt an, daß Dareios von den tributpflichtigen Völkern auch die Stellung von Lastschiffen zum Transport von Pferden verlangt hatte (Hdt. VI 95,1). Aber seine Beschreibung des Schlachtverlaufes gibt keinen direkten Hinweis auf den Einsatz umfangreicherer Reitereiverbände auf persischer Seite (vgl. Hdt. VI 112-114), auch wenn die Perser die Ebene von Marathon gerade wegen ihrer Eignung für den Reiterkampf als Schlachtfeld gewählt haben sollen (Hdt. VI 102).
256 Arrianus' Beschreibung der Schlachtordnung von Gaugamela erwähnt "skythische Reiterei" neben baktrischen Reitern und Sichelwagen als vor dem linken Flügel des persischen Heeres plaziert (Arr. anab. III 11,6). Daß es sich bei dieser Einheit aber nicht um leichtbewaffnete Bogenschützen handelte, läßt die Schilderung des Schlachtverlaufes durch Arrianus vermuten, der die Erfolge dieser skythischen Reiterei auf Panzerungen von Pferden und Reitern zurückführt (Arr. anab. III 13,4).
257 Ob dieses Werk wirklich von Hippokrates stammt oder von einem anderen Autor seiner Zeit, ist im Zusammenhang dieser Erörterung nicht von unmittelbarer Bedeutung.
258 Somit scheint der Verfasser der Schrift "Über Winde, Wasser und Ortslagen" der Meinung gewesen zu sein, daß die Sauromaten nur ein Teil der größeren skythischen Gemeinschaft waren. Ähnliches findet sich bei Curtius Rufus: "Scytharum gens ... Saramatarumque ... non finitima, sed pars est" (Curt. VII 7,3). Unklar ist, ob Sauromaten und Sarmaten als unterschiedliche Völker aufgefaßt wurden. Für K. Jettmar war klar, daß "Sarmaten" die Bezeichnung der "Sauromaten" in späteren Quellen ist (Jettmar 1964, 50). Bei Plinius dem Älteren finden sich aber widersprechende Aussagen: er nennt "Sarmaten, die bei den Griechen Sauromaten heißen" (Plin. nat. IV 80), zählt aber bei einer Beschreibung des Kaukasus die "Epageriter, einen sarmatischen Stamm" auf, deren Nachbarn "Sauromaten" seien (Plin. nat. VI 16).
259 Die Übereinstimmungen zwischen den Darstellungen des Herodot und des Hippokrates werden zuweilen auf die vermutete gemeinsame Benutzung der Berichte des Hekataios zurückgeführt (vgl. Jacoby 1912, 2680.2708.2717; Norden 1959, 60).


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