4.4.2.3 Massageten und Issedonen

Die Massageten werden in der Erzählung des Herodot im Osten lokalisiert, dem Aufgang der Sonne zu, und die Landschaft, in der sie siedelten, soll eine unabsehbar weite Ebene jenseits des Flusses Araxes gewesen sein 260. Wahrscheinlich gibt Herodot hier eine ihm mündlich überlieferte Erzählung wieder, wie aus seinem Bericht direkt hervorgeht (Hdt. I 201). Allerdings gibt Herodot an, daß ihm mehrere weitere Erzählungen bekannt gewesen seien, deren Angaben über die geographischen Gegebenheiten nicht übereinstimmten (Hdt. I 202,1). Unklar ist dabei, ob Herodot diese Auskünfte von Anwohnern des Schwarzen Meeres erhielt oder ob sie ihm, eventuell mit dem Bericht über den Feldzug des Kyros gegen die Massageten unter deren Königin Tomyris, aus Medien bzw. Persien zugetragen wurden. Der Name der "Massagetai" kann nach W. Tomaschek entweder auf macyaka = neupersisch mâhîk = "Fischervolk" 261 oder auf mazaka = "die große Horde" zurückgeführt werden (Tomaschek 1889, 47) 262, während H. Kothe den Namen allein als "Massa-Getai" las und als "Große Geten" erklärte (Kothe 1969, 58.59).

Seinem Bericht über den Feldzug des Kyros gegen die Massageten unter ihrer Königin Tomyris läßt Herodot eine Beschreibung dieses Gegners der Perser folgen (Hdt. I 215): Die Kleidung der Massageten soll derjenigen der Skythen ähnlich gewesen sein, und ihre Bewaffnung habe ebenfalls aus Pfeil und Bogen sowie Lanzen und Streitäxten bestanden. Auffällig ist dabei allerdings die Bemerkung, daß die Massageten keine eisernen Waffen verwendet hätten, sondern allein solche aus Bronze, während sie für Schmuck nie Silber, sondern immer nur Gold benutzten 263.

Die Verwirrung, die bei den Griechen bezüglich der Beschreibungen ihrer nomadischen Nachbarn bestand, läßt sich anhand der Bemerkung des Herodot verdeutlichen, daß, "was die Hellenen von den Skythen erzählen, ... nicht Sitte der Skythen, sondern vielmehr der Massageten" sei (Hdt. I 216,1). Diese ist wohl auch der Grund dafür, daß die Massageten von einigen Gewährsleuten des Herodot für einen Skythenstamm gehalten worden sind (Hdt. I 201) 264. Da Herodot es aber ebenfalls versäumt, die Sitten der Massageten von denen der Skythen deutlich zu unterscheiden, bleibt unklar, ob und wie diese Völker überhaupt voneinander zu trennen sind. So findet sich in einem aus der "Persika" des Ktesias überlieferten Fragment die Mitteilung, daß zur Zeit Dareios' I. ein "Marsagetis" genannter Bruder des Skythenkönigs Skytharbes in die Gefangenschaft der Perser geriet (FGrHist 688 F 13). Während der Name des Gefangenen auf einen Massageten hinzuweisen scheint, soll er dennoch ein Skythe gewesen sein. Höchstwahrscheinlich war auch Herodot nicht in der Lage, Massageten und Skythen - soweit sie überhaupt zu trennen sind - auseinanderzuhalten. Er skizziert nämlich das militärische Programm, das Kyros nach seinem Sieg über Kroisos entworfen haben soll, derart: Ihm hätte noch Babylon im Wege gestanden und der baktrische Stamm, sowie die Saken und die Ägypter (Hdt. I 153). Babylonier, Baktrier und Saken nennt beispielsweise auch Xenophon unter den von Kyros unterworfenen Völkern (Xen. Kyr. I 1,4). Mit den Saken, die hier mit aufgezählt sind und die nach der von Herodot überlieferten Definition mit den Skythen gleichzusetzen sind (Hdt. VII 64), können dabei aber nur die herodotischen Massageten 265 gemeint sein (vgl. Hdt. I 201). Zusätzlich fällt am Bericht des Herodot auf, daß er die Massageten als "gerade gegenüber den Issedonen" angesiedelt angibt (Hdt. I 201). Nun unterscheiden sich aber die beiden herodotischen Versionen der skythischen Abstammungsgeschichte, welche Völkerverschiebungen beschreiben, gerade in der Erwähnung dieser Völker als jeweils diejenigen, welche die Skythen aus deren Siedlungsgebiet verdrängt und sie damit gegen die Kimmerier gedrückt hätten 266.

Auch bei Hekataios findet sich Kenntnis von "Issedones", die er als skythisches Volk aber in dem Asien gewidmeten Teil seiner Erdbeschreibung bezeichnet haben soll (Steph. Byz. 339,18). Daß auch der wohl aus Sardes stammende, aber überwiegend in Sparta wirkende Alkman die Issedonen - allerdings in der Schreibweise "Essedonas" - gekannt hat (Steph. Byz. 339,18.19), scheint ebenfalls eher auf eine Lokalisierung dieses Volkes in Asien hinzuweisen 267. Das widerspricht der Darstellung des Herodot, der die Issedonen als nordöstlichstes bekanntes Volk angibt (Hdt. IV 25), hinter dem nur noch die legendären Arimaspen und Greife lebten (Hdt. IV 27). Auffällig ist jedoch, daß Herodot selbst keinen Querverweis zwischen dieser Aussage und derjenigen herstellt, daß die Massageten "gerade gegenüber den Issedonen" gelebt hätten (Hdt. I 201). Da Herodot die Issedonen ausschließlich im Zusammenhang der "Arimaspea" des Aristeas detaillierter behandelt (vgl. dazu Fritz 1967, 146.147) und keine weiteren Verbindungen zwischen den Issedonen und anderen in seiner Erzählung behandelten Ereignissen herstellt, muß sicherlich davon ausgegangen werden, daß Herodot alle die Issedonen betreffenden Angaben der "Arimaspea" entlehnt hat 268 und keine eigenen, über diese Informationen des Aristeas hinausgehenden Erkenntnisse einbringen konnte.

Es ist bereits erwähnt worden, daß sowohl von den Massageten als auch von den Issedonen die Zugehörigkeit zur skythischen Völkerfamilie in der Antike durchaus angenommen wurde, wobei es Herodot zumindest unterläßt, solchen Meinungen drastisch zu widersprechen. Es wird deutlich, daß es bei den Griechen durchaus üblich war, alle in den nördlichen Steppen lebenden Nomadengruppen im weitesten Sinne als Skythen zu bezeichnen. Auch Herodot gelingt es nicht, prägnante Unterschiede zwischen diesen Völkern zu definieren. Seine Beschreibungen lassen vor allem eine allen nomadisierenden Steppenvölkern angeblich gemeinsame Lebensweise erkennen, wobei die verschiedenen Gruppen von ihm nur durch ihren Siedlungsraum deutlich unterschieden werden können.


260 Somit sind die Massageten nach der Definition des Herodot in Europa angesiedelt (vgl. dazu Kap. "4.4.1.1 Die Grenze zwischen Asien und Europa").
261 Möglicherweise ließ sich Tomaschek vom direkt auf die einleitende Beschreibung der Massageten folgenden Bericht über den Mündungsbereich des Araxes leiten, in dem ein sich von rohem Fisch ernährendes Volk erwähnt wird (Hdt. I 202,3).
262 Eine iranische Ableitung des Namens läßt aber nicht zwingend auf persische Quellen für die Erzählungen über die Massageten schließen.
263 Diese Beschreibung bronzener Waffen und goldenen Schmucks wurde zuweilen kritiklos übernommen (vgl. Herrmann 1930, 2126). Die persische Niederlage gegen die Massageten in offener Feldschlacht (Hdt. I 214) läßt aber kaum den Schluß zu, daß diese nur mit bronzenen Waffen ausgerüstet waren, zumal die Beschreibung der goldenen Zierstücke eher auf spezielle Prunkrüstungen schließen läßt, die kaum im Kampf Verwendung fanden.
264 Gerade das Verschweigen der Namen der Gewährsleute, welche die Massageten als Skythen bezeichnet haben, läßt auf Hekataios schließen (vgl. Plezia 1959/1960, 40). Herodot bezeichnet auch die Melanchlainer ausdrücklich als nichtskythischen Stamm (Hdt. IV 20), während sie nach Hekataios Skythen waren (FGrHist 1 F 185). Während Herodot den Tanais als östliche Grenze Skythiens und skythischer Bevölkerung ansieht (Hdt. IV 21), bezeichnet Hekataios die östlich des Tanais angesiedelten Issedonen als Skythen (FGrHist 1 F 193). Allerdings muß in Betracht gezogen werden, daß mit dem Namen Tanais von Herodot und Hekataios unterschiedliche Flüsse bezeichnet werden (vgl. dazu Arr. anab. III 30,7.8).
265 So berichtet Diodoros, daß Kyros auf einem Feldzug gegen Skythen, die von einer Frau geführt wurden, ums Leben kam (Diod. II 44,2). Ktesias überliefert ebenfalls einen Feldzug des Kyros gegen Saken, der trotz der Gefangennahme des Sakenkönigs Amorges mit einer persischen Niederlage gegen die Königin der Saken Spamithre endete (FGrHist 688 F 11). Auch Arrianus nennt Skythen als Gegner des Kyros (Arr. anab. III 27,4.5; V 4,5). Er erklärt zwar deutlich, daß es sich bei diesen Skythen um eine andere Gruppe dieses Volkes gehandelt habe, als es die von Dareios bekriegten Skythen gewesen waren (Arr. anab. IV 11,9), ohne aber in diesem Zusammenhang den Namen der Massageten zu erwähnen. Arrianus kennt jedoch Massageten als skythisches Volk nördlich der Sogdiana und verwendet in dem diese Massageten betreffenden Abschnitt die Namen Massageten und Skythen vielfach synonym (Arr. anab. IV 16,4-7; IV 17,1-7).
266 Der Bericht, der von "Hellenen und Barbaren" (Hdt. IV 12,3) einstimmig erzählt wird, sieht die Massageten als auslösendes Element der Völkerwanderung (Hdt. IV 11,1), während Aristeas die Issedonen von den Arimaspen bedrängt gegen die Skythen ziehen läßt (Hdt. IV 13).
267 Zu den griechischen Vorstellungen von den Ausdehnungen der Erdteile vgl. Kap. "4.4.1.1 Die Grenze zwischen Asien und Europa".
268 Außerdem beschränkt sich die Beschreibung der Issedonen neben ihrer geographischen Einordnung auf die Schilderung ihrer Bestattungssitten (Hdt. IV 26).


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