5.2.1 Zur Benennung des Pontos Euxeinos

Der heutige Name des "Schwarzen Meeres" läßt sich lediglich bis in das dreizehnte nachchristliche Jahrhundert zurückverfolgen (Schmitt 1985, 410; 1996, 220). Strabon aber berichtet, daß man einst das Schwarze Meer für das größte Meer hielt und es deswegen nur den Pontos 310, also "das Meer", nannte, ebenso wie man Homer oft nur "den Dichter" genannt hätte (Strab. I 2,10). Im größten Teil der griechischen und lateinischen Überlieferung ist zwar "Pontos Euxeinos" bzw. Pontus Euxinus die gebräuchliche Bezeichnung dieses Meeres, aber ursprünglich wurde dieses "gastliche" Meer von den Griechen wahrscheinlich "Pontos Axeinos" bzw. Pontus Axinus, also "ungastliches" Meer genannt (vgl. Plin. nat. IV 76). Dieser alte Name des Schwarzen Meeres könnte "askanisches", also "phrygisches" Meer bedeutet haben (Meyer 1954b, 415; Burn 1960, 114), zumal die Gewohnheit, ein Meer nach den anwohnenden Völkern zu benennen, weit verbreitet war (vgl. Burr 1932, 88). Allerdings ist es wahrscheinlicher, daß dem griechischen "axeinos" ein falsch verstandenes altiranisches axaina mit der Bedeutung schwarz bzw. dunkelfarbig zugrundeliegt (vgl. Vasmer 1921; 1923, 20; Karst 1931, 585; Moorhouse 1940; Allen 1947; Schmitt 1996, 220). Hinter dieser Benennung des "Schwarzen Meeres" mit einer Farbe scheinen kosmologisch-kosmographische Vorstellungen zu stehen, welche zur Bezeichnung der Himmelsrichtungen Farbwörter 311 benutzten (Schmitt 1985, 411.412). Insofern dürfte "Schwarzes Meer" also "nördliches Meer" bedeuten, was es zum Gegenstück des als "Rotes Meer" bezeichneten Persischen Golfes macht 312, den beispielsweise auch Herodot außer als "Rotes Meer" einmal zugleich als "Südmeer" bezeichnet (Hdt. IV 37).

Ausgehend von der Deutung "ungastliches Meer" für "Pontos Axeinos" will Strabon den ursprünglich eher unfreundlichen Charakter, dem das Meer seiner Meinung nach seinen Namen verdankt haben soll, mit seiner Unbeschiffbarkeit wegen seiner wilden Anwohner, überwiegend Skythen, erklären 313 (Strab. VII 3,6.7; Amm. Marc. XXII 8,33; Diod. IV 40,4). Durch die Gründung von Kolonien aber hätten dann die Griechen, allen voran die Milesier, das Schwarze Meer gleichsam zu dem ihren gemacht 314, und aus diesem Grunde sei die anfängliche Benennung "ungastliches" Meer euphemistisch in "gastliches" Meer geändert worden (Strab. VII 3,6; Skymn. 734-737). Damit gewinnt der Zeitpunkt, an dem diese Namensänderung stattfand, ebenfalls besondere Bedeutung für die Chronologie der Kolonisationsbewegung.

Die Erzählungen über den vor Troja gefallenen griechischen Helden Achilleus, die später als die Odyssee des Homer anzusetzen sind, enden mit seinem Weiterleben auf der im Pontos liegenden Insel Leuke 315 (Plin. nat. IV 83.93; Arr. peripl. m. Eux. 21,1), während er in der Odyssee im Hades anzutreffen ist (Hom. Od. XI 467; XXIV 15). In Ilias und Odyssee findet sich weder eine Erwähnung des nordöstlich des Hellespont gelegenen Thrakischen Bosporos, noch fand der Name des sich dahinter anschließenden Schwarzen Meeres selbst Eingang in die homerischen Epen (Burr 1932, 22; Graham 1958, 37). Zwar muß Homer die Sage über die Fahrt der Argonauten bekannt gewesen sein, da er deren Schiff Argo, die "Allbesungene", namentlich nennt (Hom. Od. XII 70). Da jedoch die Identifizierung von Skylla und Charybdis als unsicher gelten muß 316, darf aus dieser Tatsache nicht ohne weiteres auf eine Kenntnis vom Schwarzen Meer und der in es hineinführenden Meerenge bei Homer geschlossen werden (vgl. dazu Strab. I 1,10).

Die frühesten sicher bezeugten griechischen Benennungen des Schwarzen Meeres stammen aus den Werken des Pindar, die in der ersten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts entstanden sind (Wolde 1958, 295.322). So findet sich der erste Beleg für den Namen "Pontos Axeinos" in der vierten pythischen Ode des Pindar, die von der Fahrt der Argonauten unter Jason in das "ungastliche Meer" berichtet (Pind. Pyth. IV 362) 317. Doch Pindar benutzt in seiner vierten nemeischen Ode, in der er die Insel Leuke, auf der Achilleus einer Sage nach ein seliges Leben führte, ins "gastliche Meer" verlegt, gleichfalls die Bezeichnung "Pontos Euxeinos" (Pind. Nem. IV 79; Strab. VII 3,16). Weil jedoch einigen der antiken Schriftsteller zufolge "Pontos Axeinos" die ältere der beiden Benennungen war (Skymn. 735; Strab. VII 3,6.7; Plin. nat. IV 76), dürfte mit der zeitlichen Einordnung des Pindar zugleich ein Zeitraum gefaßt werden, in dem diese Umbenennung des Schwarzen Meeres stattfand. Zumindest kann nicht geschlossen werden, daß das Schwarze Meer erst von Pindar einen Namen erhalten hat, zumal aus den aus den Werken des Hekataios erhaltenen Fragmenten sehr deutlich hervorgeht, daß spätestens seit der Wende vom sechsten zum fünften vorchristlichen Jahrhundert die Küsten dieses Meeres verhältnismäßig genau bekannt waren (vgl. FGrHist 1 F 196-216). In einem Fragment, das dem um 600 v.Chr. lebenden Lyriker Alkaios zugeschriebenen wird, findet sich für Achilleus die Bezeichnung "Herrscher des Skythenlandes" (Alk. Frg. 14 D.). Somit dürften den Griechen bereits zur Zeit des Alkaios Informationen über die nördlichen Küsten des Pontos und seine Anwohner zur Verfügung gestanden haben.

Angesichts dieser Tatsache und des Umstandes, daß einige Gründungsdaten griechischer Kolonien im Schwarzmeerraum in das sechste und sogar siebte Jahrhundert v.Chr. verweisen, muß es aber seltsam erscheinen, daß kein Nachweis für eine schriftliche Erwähnung dieses Meeres möglich ist, der vor die Zeit Pindars zu datieren ist.


310 Von dieser Bezeichnung leiten sich Begriffe wie "nordpontische Gebiete" für den Raum nördlich des Schwarzen Meeres ab.
311 Möglicherweise kann ebenso die Benennung einiger Gruppen von Steppenvölkern wie etwa der "schwarzen Bulgaren", der "schwarzen Hunnen", der "schwarzen Chasaren" oder der "schwarzen Ungarn" interpretiert werden. Deren Attribut "schwarz" wird ansonsten eher als Hinweis auf deren Aussehen bzw. auf die "niedrige soziale Stellung" gedeutet (vgl. Bálint 1989, 17 Anm. 3).
312 Herodot bezeichnet meistens den Persischen Golf als "Rotes Meer" (Hdt. I 1.180.189.202; III 30.93; IV 37.39.40; VI 20.80.89). Er verwendet diesen Namen allerdings auch für das noch heute "Rotes Meer" genannte Gewässer (Hdt. II 8.11.158; IV 41). Ein einziges Mal scheint Herodot das "Tote Meer" ebenfalls als "Rotes Meer" zu bezeichnen (vgl. Hdt. III 9).
313 J.A.H. Potratz glaubte, daß gerade die "Gastfreundlichkeit der skythischen und kolchischen Anwohner" zur Benennung des Schwarzen Meeres als "Meer mit den gastfreundlichen Gestaden" führte (Potratz 1963, 15.16).
314 Diodoros berichtet, daß Herakles während eines Feldzuges gegen Amazonen den Namen des Meeres in Pontos Euxeinos geändert habe (Diod. IV 16,1).
315 Zur Lokalisierung der Insel vgl. Okhotnikov u. Ostroverkhov 1991. Die Anfänge dieses Achilleus-Kultes lassen sich bis in das sechste Jahrhundert v.Chr. zurückverfolgen (Hedreen 1991, 314).
316 Zu den Problemen, die sich bei der Auswertung von geographischen Angaben zur Fahrt des Jason ergeben, vgl. das Kap. "7.2.3 Odyssee und Argonautika".
317 Die Benennung "Pontos Axeinos" wird, außer im Zusammenhang der Argonauten- und Iphigeniensage (Pind. Pyth. IV 362; Eurip. Iph. Taur. 218.253.341.395; Orph. Arg. 84.200.719.762), nur noch in Quellen angeführt, die den Beinamen "axeinos" erklären und "Pontos Axeinos" somit als historische Bezeichnung erwähnen (Skymn. 754; Ov. trist. IV 4,55; Strab. VII 298.300; Plin. nat. IV 76; Diod. IV 40,4 ; Mela I 102; Amm. Marc. XXII 8,33).


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