6.2.1 Zur Stammeszugehörigkeit der Kimmerier

Strabon gibt für die sehr verwirrenden Völkerbezeichnungen als Beispiel ebenfalls an, daß man die Kimmerier auch Trerer genannt habe (Strab. I 3,21). Weil die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Kimmerier an der Nordküste des Schwarzen Meeres vermutet wurden, stellten aber die Thraker die bekannteste benachbarte ethnische Gruppe südwestlich dieses Gebietes dar. Eine thrakische Volkszugehörigkeit der Kimmerier schien also durchaus nahe zu liegen. C.F. Lehmann-Haupt legte jedoch besonderen Wert auf die Feststellung, daß die Kimmerier mit den Trerern nicht identisch seien, ohne sich jedoch auf diese Weise gegen eine gemeinsame thrakische Stammeszugehörigkeit auszusprechen (Lehmann-Haupt 1921, 397). Gegen eine mit den Skythen gemeinsame, iranische Stammeszugehörigkeit wandte sich hingegen J. Charpentier, der aus dem Bericht des Herodot eine scharfe Trennung zwischen den Kimmeriern und den Skythen herauslas, weil diese Völker in beständiger Feindschaft gelebt hätten (Charpentier 1917, 382). Zumindest in nachherodotischer Zeit wurden die Kimmerier von antiken Schriftstellern aber häufig mit den Skythen gleichgesetzt. So besingt Kallimachos im Artemishymnus den Lygdamis als den Heerführer der "stutenmelkenden Kimmerier"; "Stutenmelker" werden aber gewöhnlich die Skythen genannt. Es war für viele der antiken Autoren sicherlich ohne jeden Belang, wie die Stämme und Völker, über die sie schrieben, sich selbst nannten, und man hielt lange Zeit an bekannten Namen wie "Skythen" oder "Kelten" für ganze ethnographische Bereiche fest, auch wenn sich dahinter verschiedene ethnische Gruppen verbergen konnten (Herrmann 1988, 15). Beispielsweise wurden auch die im vierten Jahrhundert n.Chr. in den pontischen Steppen siedelnden Goten manchmal als Skythen bezeichnet (z.B. Zos. hist. IV 10; Oros. hist. VII 34,5), während die Hunnen sogar mit den Kimmeriern in Verbindung gebracht wurden (Prok. Goth. VIII 4,10; VIII 5,1; VIII 5,6). Auch wenn es im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich ist, die Frage nach der Stammeszugehörigkeit der Kimmerier zu beantworten, so sollen dennoch die wesentlichen Probleme angesprochen werden, die sich bei der Auswertung antiker schriftlicher Quellen ergeben. Dabei kann auf ausführliche philologische Erörterungen verzichtet werden, da nur von einer einzigen Vokabel - und zwar von "argyllai" für "unterirdische Häuser" - überhaupt angenommen wird, daß sie kimmerischen Ursprungs 350 sein könnte (Schramm 1973, 199 Anm. 522).


350 Inwieweit die von Ephoros zitierte Vokabel (Ephor. bei Strab. V 4,5) überhaupt als "kimmerisch" bezeichnet werden darf, ist schwer zu beurteilen (vgl. dazu das Kap. "6.2.2 Kimmerier am Avernus").


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