9.2.1.4 Bemerkungen zur "Koalition" gegen Assyrien

Während der Herrschaftszeit Assarhaddons scheinen sich mehrere der Nachbarn Assyriens zu einem militärischen Bündnis gegen diesen gemeinsamen Gegner zusammengeschlossen zu haben. Zahlreiche Anfragen Assarhaddons an Samas, den assyrischen Sonnengott, beziehen sich auf einen Kastarit genannten "Stadtherrn" von Karkassi und bitten um Auskunft, ob Kastarit mit seinen Truppen oder zusammen mit Gimirrai, Medern, Mannäern oder anderen Kriegern bestimmte, in den jeweiligen Anfragen einzeln aufgezählte assyrische Festungen erobern werde (Sammlungen der Orakelanfragen bei Knudtzon 1893, Nr. 1.3.5.6.8.9.11a.11b.12.15; Klauber 1913, Nr. 2.6.12-14) 489. Unter den in diesen Anfragen genannten Gruppen finden sich auch immer wieder die Gimirrai, die aber in den Anfragen nie allein erscheinen, sondern immer zusammen mit anderen Völkern wie Mannäern, Sarpadäern oder Medern, die von Assyrien aus gesehen in nördlichen bzw. nordöstlichen Gebieten anzusiedeln sind. Jedoch glaubte zumindest E.G. Klauber nicht, daß von einer förmlichen Koalition aller dieser Völker gegen Assyrien gesprochen werden dürfe; er vermutete vielmehr, daß die Anfragen sich nur darauf beziehen würden, ob von dem einen oder anderen der genannten Völker Assyrien überhaupt Gefahr drohen würde (Klauber 1913, LVIII). Hingegen sprach C.F. Lehmann-Haupt ausdrücklich von einer "großen Koalition" der "Nordvölker" gegen Assyrien (Lehmann-Haupt 1921, 407).

Der Kastarit, der in den Orakelanfragen als die treibende Kraft dieser Bedrohung Assyriens erscheint, wird üblicherweise mit dem Phraortes Herodots, dem Sohn des Deiokes, in Verbindung gebracht (vgl. dazu auch Brown 1988, 76.77). Der Name dieses Deiokes jedoch ist in seiner griechischen Schreibweise "Deiokes" zuerst bei Herodot bezeugt (Schmitt 1973, 138), während assyrische Texte diesen Namen in der Form Da-a-a-uk-ku nur für einen Mann kennen: In den Annalen des Sargon II. wird zum Jahr 715 v.Chr. ein mannäischer Statthalter mit diesem Namen erwähnt (Schmitt 1973, 145), dem Sargon anscheinend die Verantwortung für den Verlust von 22 Festungen des mit Assyrien verbündeten Mannäerkönigs Ullusunu an den nördlichen Nachbarn Urartu anlastete und ihn deshalb absetzen und samt seiner Familie deportieren ließ (vgl. Lie 1929, 18.19). Die Gleichsetzung des in dem assyrischen Text genannten Da-a-a-uk-ku mit dem Deiokes Herodots (bereits durch Smith 1869, 98) läßt sich mit der aus den herodotischen Daten berechenbaren Chronologie der frühmedischen Geschichte durchaus vereinbaren 490. Aus diesem Grund glaubte auch R. Ghirshman in Kastarit eindeutig den Phraortes des Herodot identifizieren zu können und ging weiterhin von einer medisch initiierten Revolte gegen die assyrische Oberherrschaft in der Zeit um 673 v.Chr. aus (Ghirshman 1964b, 284). C.F. Lehmann-Haupt hingegen wollte, sich dabei ebenfalls auf chronologisch auswertbare Daten des Herodot stützend, diese Ereignisse in die Jahre 678 bzw. 677 v.Chr. setzen: Herodot berichtet uns nämlich, daß die Meder 128 Jahre lang "Asien jenseits des Halys" beherrscht hätten (Hdt. I 130,1), während sie zuvor selbst unter assyrischer Herrschaft gestanden hätten (Hdt. I 95,2). Ausgehend von der Absetzung des letzten Mederkönigs Astyages im Jahre 550 v.Chr. gelangte Lehmann-Haupt somit in das Jahr 678 v.Chr. für diese von Herodot überlieferte Befreiung von der Herrschaft der Assyrer (Lehmann-Haupt 1921, 408). Jedoch gibt es in keilinschriftlichen Quellen keine Bestätigung dafür, daß die Assyrer selbst den Kastarit für einen Meder gehalten haben; in den Orakelanfragen zumindest wird er immer nur als "Herr der Stadt Karkassi" bezeichnet (Helm 1981, 86; vgl. Brown 1988, 76). Folgt man hier dennoch der Darstellung des Herodot, so müßte die Bedrohung Assyriens durch den mit Kastarit gleichgesetzten Phraortes zudem ihren Höhepunkt in einem Angriff auf das assyrische Kernland gefunden haben, bei dem Phraortes Schlacht und Leben verloren haben soll (Hdt. I 102,2). Den einzigen Hinweis, den assyrische Quellen aber bezüglich einer derartigen Bedrohung Assyriens zur Zeit des Assarhaddon geben, stellt die Nachricht über den Zusammenstoß zwischen assyrischen Truppen und Gimirrai unter ihrem Anführer Teuspâ dar. Der entsprechende Eintrag in die Babylonische Chronik, der dieses Ereignis behandelt, läßt einerseits darauf schließen, daß dieser von Gimirrai geführte Vorstoß von Assarhaddon erst auf assyrischem Gebiet gestoppt werden konnte; andererseits erlaubt er auch eine Datierung in das Jahr 679 v.Chr.

Bei der Betrachtung der den Kastarit betreffenden Orakelanfragen fällt auf, daß unter den Gegnern Assyriens zwar häufig Gimirrai genannt werden, aber sich kein direkter Hinweis auf eine Beteiligung von Skythen findet (Ivancik 1993, 85). J. Wiesner behauptete, daß sich Assarhaddon gegenüber der "Koalition" seiner nördlichen Nachbarn sogar skythischer Hilfe bedient habe (Wiesner 1963, 74.75). Sicher scheint auf jeden Fall zu sein, daß während der Herrschaft des Assarhaddon ein Häuptling der Iskuzai namens Bartatua um die Hand einer assyrischen Prinzessin angehalten hat (Lehmann-Haupt 1921, 404; Starr 1990, 24-26 Nr. 20). In diesem Bartatua wurde zumeist der Protothyas des Herodot, Vater des Skythenkönigs Madyas (Hdt. I 103,3), identifiziert (zuerst Winkler 1897, 484). Auf einem ins Jahr 676 v.Chr. datierten Prisma ist jedoch zu lesen, daß Assarhaddon während eines Feldzuges gegen aufständische Mannäer den als Asguzai bezeichneten Ispakai, einen Verbündeten der Mannäer, vernichtend geschlagen habe (Heidel 1956, 17). Mit der Gleichsetzung der Asguzai mit den Skythen dürfte aber klar sein, daß zu den antiassyrischen Kräften, die sich um die Mannäer sammelten, auch "Skythen" gehört haben, wobei sich dieser von Assarhaddon vermeldete Sieg über Ispakai zunächst nur mit dem Jahr 676 v.Chr. für die Niederschrift der Meldung als terminus ante quem und dem Jahr 681 v.Chr. für die Regierungsübernahme des Assarhaddon als terminus post quem zeitlich einengen läßt.

Während die Meldung über kriegerische Auseinandersetzungen zwischen "Skythen" und Assyrern im mannäischen Gebiet allein keine geographische Einordnung dieser "Skythen" zuläßt, erlaubt eine Anfrage des Assarhaddon an den Sonnengott, die sich mit einer Bedrohung Assyriens durch iskuzäische Krieger beschäftigt, schon eher darauf zu schließen, daß diese zu jenem Zeitpunkt in Manna siedelten (Knudtzon 1893, Nr. 35). Bestätigt wird diese Ansicht durch eine weitere Orakelanfrage, welche das Schicksal eines assyrischen Gesandten betraf (Knudtzon 1893, Nr. 25). Obwohl der Name des Landes, in das dieser Gesandte ausgeschickt wurde, nicht mehr zu entziffern ist, läßt die Anfrage, ob dieser von den Sarpadäern, Gimirrai, Medern, Mannäern oder Iskuzai Feindseligkeiten zu erdulden haben werde, zumindest den Schluß zu, daß der Gesandte auf seiner Reise Gebiete berühren mußte, die sich im Einflußbereich dieser Völkerschaften befanden (Lehmann-Haupt 1921, 406). Diese Anfrage des Assarhaddon bestätigt folglich zwei Tatsachen: Einerseits hielten sich zu diesem Zeitpunkt sowohl die Iskuzai als auch die Gimirrai im geographischen Umfeld von Manna auf, und andererseits standen zumindest Teile dieser beiden Gruppen Assyrien feindlich gegenüber.

Angesichts der Tatsache, daß im ersten Viertel des siebten Jahrhunderts v.Chr. bewiesenermaßen ein feindliches Verhältnis zwischen Iskuzai und Assyrern bestanden hat, stellt sich die Frage, inwieweit sich damit die Werbung des Skythen Bartatua um die Hand einer assyrischen Prinzessin vereinbaren läßt. Ebenso ist auch unklar, ob diese von Bartatua gewünschte Verschwägerung mit dem assyrischen Herrscherhaus überhaupt zustande kam.

Die Abhängigkeit der Interpretation der assyrischen Texte von den Angaben des Herodot ist evident.

Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem assyrischen Herrscher und einem skythischen Fürsten würde erklären, warum ein Skythenheer zum Entsatz der von den Medern unter der Führung des Kyaxares belagerten Hauptstadt Assyriens, Niniveh, eilte (Hdt. I 103,3). Allerdings müßte dann auch akzeptiert werden, daß der von Herodot behauptete Grund für dieses erste Erscheinen der Skythen in Medien - nämlich die Verfolgung der Kimmerier - falsch ist, und daß bereits vor Madyas, dem Herodot diesen skythischen Vorstoß nach Medien zuschreibt, dessen Vater Protothyas Kontakte zu Assyrien geknüpft hatte. Jedoch ist weder die Belagerung von Niniveh durch die Meder noch deren Aufhebung nach dem Aufmarsch skythischer Einheiten in assyrischen Quellen bezeugt.

Man muß nicht von einer aus Europa mitgebrachten Feindschaft zwischen "Kimmeriern" und Skythen ausgehen (so Lehmann-Haupt 1921, 410), um eine militärische Konfrontation zwischen Skythen und Assyrern feindlich gesinnten Kräften zu erklären, von denen die "Kimmerier" nur ein Teil gewesen sein können. Diese Auseinandersetzung, die in einer - durch die assyrischen Quellen allerdings nicht bestätigten - Belagerung Ninivehs ihren Höhepunkt gefunden haben soll, müßte zudem bereits in die Regierungszeit des Assurbanipal gefallen sein.


489 Ungünstigerweise läßt sich sowohl der Name des "Stadtherrn" Kastarit als auch der Name der Stadt Karkassi nur in diesen Orakelanfragen nachweisen (vgl. Brown 1988, 76.77 Anm. 5).
490 Zum chronologischen Vergleich siehe Tab. 6. Diese Identifizierung ist allerdings nicht unumstritten (Boehmer 1964, 15 Anm. 28). Um so unerklärlicher ist es, wie J. Boulos dem Deiokes neben der Vereinigung der Meder auch die der "tribus soeurs" der Perser, Mannäer und Kimmerier zuschreiben konnte (Boulos 1962, 259), zumal er es auch versäumte, die Quellen anzugeben, aus denen er diesen Schluß gezogen hat.


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel