4.1.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

Bislang ist es nicht gelungen, Daten der lydischen Geschichte absolutchronologisch zu verankern. Auch das bisher aus den Angaben Herodots gewonnene, relativchronologische Gerüst ist nicht über alle Zweifel erhaben. Unstimmigkeiten ergeben sich beispielsweise beim Vergleich der lydischen und phrygischen "Daten": Kroisos entsühnt den Phryger Adrastos, der sich ihm als Sohn des Gordios und Enkel des Midas zu erkennen gibt (Hdt. I 35; I 45,3). Somit müssen hier, da Midas zumindest gleichzeitig, eher sogar früher als Gyges anzusetzen ist (vgl. Hdt. I 14,2), 170 Jahre der Mermnadenherrschaft wohl mit nur zwei phrygischen Königen gefüllt werden 94, weil Adrastos erst zur folgenden Generation des Sohnes des Kroisos zu zählen ist. Außerdem muß angemerkt werden, daß Angaben des Herodot, die ein Nacheinander von Ereignissen beschreiben - zumindest den zeitlichen Abstand zwischen diesen Ereignissen betreffend - äußerst kritisch betrachtet werden müssen. So weckt er bei seiner Erzählung der Auswanderung einer Hälfte der Lyder unter der Führung des Tyrsenos den Eindruck, daß die Zurückgebliebenen schon kurz nach diesem Ereignis von den Persern unterworfen wurden (Hdt. I 94). Rechnet man aber nach, so müssen 170 Jahre der Mermnadenherrschaft, 505 Jahre der Herakliden und eine nicht näher bestimmte Zahl von Jahren der Könige aus dem Haus des Lydos addiert werden, um den Abstand zwischen diesen beiden Ereignissen zu bestimmen.

Die Glaubwürdigkeit der aus den Angaben des Herodot berechneten Chronologie wird aber, selbst wenn man die Namen und Regierungszeiten der fünf Mermnaden und das gesamte Tatsachengerüst der Erzählung als historisch annimmt, schwer erschüttert, wenn man versucht, "außer-herodotische" Daten einzufügen. Dabei sollen dermaßen grobe Schnitzer wie die Erwähnung eines Aufenthalts des Atheners Solon in Sardes bei Kroisos während dessen zehnjähriger Abwesenheit von der Heimatstadt (Hdt. I 29,1) sogar unberücksichtigt bleiben. Schwierig zu lösende Probleme entstehen indes, wenn man der zeitlichen Bestimmung der Eroberung der assyrischen Hauptstadt Niniveh durch die Meder auf das Jahr 612 v.Chr. folgt (Scurlock 1990, 150; vgl. Grayson 1975, 94), weil dieses Ereignis sicherlich die Vertreibung der Skythen und das Ende ihrer von Herodot behaupteten achtundzwanzigjährigen Herrschaft über Asien voraussetzt (Hdt. I 106,1.2; IV 1,2.3). Selbst wenn man annimmt, daß die Eroberung von Niniveh noch im gleichen Jahr wie die Vertreibung der Skythen stattgefunden hat, gelangt man für den Beginn der skythischen Herrschaft über Asien unter Berücksichtigung der von Herodot angegebenen achtundzwanzigjährigen Verweildauer mindestens in das Jahr 640 v.Chr., also einige Jahre vor den oben errechneten Zeitpunkt 95.

Weiterhin macht die Gleichsetzung des herodotischen Gyges mit dem Gûgu von Luddi des Zylinders Rassam A 96 diesen zum Zeitgenossen des Assyrerherrschers Assurbanipal. Der in den assyrischen Quellen vermeldete gewaltsame Tod dieses Gûgu ist wahrscheinlich um das Jahr 652 v.Chr. anzusetzen 97, also rund ein Vierteljahrhundert später als sich nach den aus den Angaben Herodots berechenbaren Jahreszahlen ergeben hat (vgl. Strasburger 1956, 143). Somit scheint zumindest der Ansatz des Herodot für das Todesjahr des Gyges, bzw. der, den wir aus seinen Angaben herausrechnen zu können glauben, falsch 98.

Es wird deutlich, daß eine Analyse der herodotischen Darstellung der lydischen Geschichte allein zu keinem befriedigenden Ergebnis führt. Sicher scheint lediglich , daß die von Herodot berichtete Eroberung von Sardes durch Kimmerier zur Zeit des zweiten Mermnaden stattgefunden hat, und daß diese in die zweite Hälfte des siebten Jahrhunderts v.Chr. - genauer sogar ins letzte Drittel - gesetzt werden kann.


94 Weil auch Midas einmal als Sohn eines Gordios genannt wird (Hdt. I 14,2), besteht aber ebenso die Möglichkeit, daß diese beiden Namen immer wieder, anscheinend alternierend als Königsnamen benutzt wurden (vgl. auch Bossert 1993, 288-289). Dann jedoch ist Herodot ein recht sorgloser Umgang mit Namen anzulasten, wenn er es nicht für notwendig empfand, diese Personen eindeutig voneinander zu unterscheiden.
95 Auf die Probleme, die sich aus Herodots chronologischen Angaben bezüglich der medisch-persischen Geschichte ergeben, soll später noch eingegangen werden (vgl. Kap. "4.2 Der medische Logos").
96 Der Zylinder Rassam A schildert Ereignisse von Feldzügen des Assurbanipal, aber auch die Unterwerfung des Gûgu von Luddi unter die assyrische Oberherrschaft, seinen anschließenden Abfall und seinen Untergang.
97 Die aus vorderasiatischen Quellen gewonnenen Daten werden ab Kap. "9 Untersuchungen zu Quellen des Alten Orients" ausführlicher behandelt.
98 Die Behauptung des älteren Plinius, daß der Lyder Kandaules in der achtzehnten Olympiade getötet wurde (Plin. nat. XXXV 55; vgl. Clem. Alex. strom. I 117,9), ergibt für den Regierungsantritt des Gyges ein gegenüber dem aus den Angaben des Herodot errechenbaren Datum zwischen 708 und 705 v.Chr. eine lediglich geringfügige Verschiebung (vgl. Tab. 2).


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel